So lernte ich Clara Viebig kennen
Von Sophie Lange
Es war ein heißer Tag im Jahr 1976; brüllend heiß war es. Wir nutzten den schönen Sonntag, um das Freilichtmuseum in Kommern zu besuchen. Die alten niedrigen Fachwerkhäuser hatten es uns angetan. Jedes Haus hatten wir betreten, denn es umfing uns nicht nur mit altem Wohnstil und mit einstigem Dorfleben, sondern auch mit angenehmer Kühle. Beim Weitergehen wurden wir plötzlich überrascht. Laute Stimmen klangen uns entgegen. Ein Theaterstück wurde im Freien aufgeführt. Wir blieben stehen. Ich war wie elektrisiert: Die Schauspieler zwischen den Wohnhäusern, in dunklen Eifeler Gewändern gekleidet, sich in ihrer kehligen Sprache unterhaltend. Es wirkte alles so echt, dass ich mich hundert Jahre zurückversetzt fühlte. Mein Mann ging bald mit den Kindern weiter, ich blieb wie gebannt im Gras sitzen, fühlte mich in eine andere Welt versetzt, in eine vergangene Zeit, so fremd und doch tief im Innern so vertraut. Jedoch nicht ahnend, dass sich ein magischer Moment in meinem Leben vollzog. Dass ich eine Frau, eine Dichterin, kennen lernte, die mein Leben in Zukunft maßgeblich beeinflussten würde.
Doch es dauerte ein ganzes Jahr bis ich mich wieder an diesen Nachmittag erinnerte. Es war ein Bericht im Kreis Euskirchener Jahrbuch 1977, der über das „Theater im Museum“ berichtete. Und ich erfuhr, dass es sich um das Eifeldrama „Barbara Holzer“ von der Dichterin „Clara Fiebig“ (sic) 1860-1952 handelte.
Wenn ich den Bericht heute lese, tut es mir in der Seele weh, dass der Name falsch geschrieben ist. Und Clara Viebig wird sich im Grabe umgedreht haben. Ich jedoch hatte Clara Viebig gefunden. Oder hatte sie mich gefunden?
Jetzt wollte ich die Dichterin nicht mehr aus den Augen lassen. Es ist mir später immer wieder passiert, dass ich, wenn ich von einem bestimmten Thema begeistert war, ich dann zufällig weitere Informationen bekam und auch die Menschen kennenlernte, die ebenfalls von dem Thema angetan waren. Im Falle Clara Viebig war es eine Zeitungsannonce in einer inzwischen längst aufgegebenen Eifelzeitung, die mich hellhörig machte: Clara Viebig Bücher zu verkaufen. Ich nahm Kontakt auf, lernte den “Clara Viebig Papst“ Dieter Heimer kennen und erstand die ersten Bücher meiner Clara, unserer Clara. Bis heute stehe ich mit Herrn Heimer in Verbindung. Unser Haupt-Gesprächsthema noch immer: Clara Viebig. Manche Information verdanke ich ihm, viele antiquarischen Bücher hat er mir besorgt, so dass meine Sammlung jetzt vollständig ist. Auf hochwertige Erstausgaben verzichte ich allerdings, die überlasse ich den Sammler-Freaks.
Ich weiß nicht mehr, was ich als erstes las, ich glaube, es waren die Eifelnovellen „Kinder der Eifel“. Welcher Roman mich aber am meisten begeisterte, ist mir noch bewusst: „Vom Müller Hannes.“ Hier waren es nicht nur die starken Charaktere, sondern auch die detaillierten Landschaftsbeschreibungen, die mich fesselten.
Von da an begleitete die Eifeldichterin mein Leben. Ich las alle ihre Bücher, die meisten mehrmals. Und bis heute greife ich immer wieder zu einem ihrer Werke. Dabei ist es nicht nur Unterhaltung, die ich suche, sondern es ist für mich auch Recherche zu heimatkundlichen Themen aus einer längst vergangenen Zeit.: Feld- und Hausarbeit, Dorf- und Frauenleben, Brauchtum und Sitten, Natur und Landschaft. Bei Clara Viebig finde ich alles, was ich für meine Heimat- und Frauenforschung brauche. Immer mehr wurde sie mir zum Vorbild. Und natürlich interessiert mich die Künstlerin selbst. Alles was jemals über sie geschrieben wurde, versuche ich zu bekommen. Ihr Leben und Wirken wurden mir immer vertrauter und doch ist es mir bis heute nicht gelungen, ihr Wesen in all seinen Facetten zu erfassen. Das tut allerdings meiner Liebe und Bewunderung keinen Abbruch.
Ich hätte Clara Viebig so gerne persönlich kennen gelernt.
In: Ina Braun Yousefi. Clara Viebig, Streiflichter zu Leben und Werk einer unbequemen Schriftstellerin, Band II, Nordhausen 2020