Patin: Geistige Mutter, Schutzmatrone und Göttin
von Sophie Lange
Auszug aus dem Buch "Küche, Kinder, Kirche ..."
Der Brauch, dass ein Kind neben seinen Eltern auch Paten besitzt, hat eine lange Geschichte. Sie führt 8000 Jahre und mehr zurück in eine Zeit, in der an verschiedenen Plätzen der Erde die Menschen im Matriarchat zusammenlebten. In dieser mütterrechtlichen Gesellschaftsform hatte die Frau das alleinige Recht über ihre Kinder. Die Person des Vaters gab es noch nicht, denn man sah über Jahrtausende hindurch keinen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Geburt. In ihrer mythischen Vorstellung glaubten die Menschen, dass die Frauen wie die göttliche Mutter Erde aus eigener schöpferischer Kraft Leben erzeugen könnten.
Wurde ein Knabe geboren, so wurde dieser bereits in frühen Kinderjahren in den getrennten Lebensbereich der Männer überführt, wo er mit den erwachsenen Männern gemeinsam lebte und von ihnen das Kämpfen und Jagen erlernte. Die Mädchen wuchsen bei ihren Müttern auf, lernten im unwegsamen Wald Kräuter zu sammeln, das Feuer zu hüten und das geheime Heilwissen zu verstehen. Lebten die Frauen vollkommen unabhängig von den Männern, so war ihnen auch das Jagen und Kämpfen nicht fremd. Auch dieses Können vermittelten sie ihren Töchtern.
Im Abri (steinzeitliche Wohnstätte) und in den späteren Hüttensiedlungen erfuhren die Mädchen Schutz durch die erwachsenen Frauen. Für jede Heranwachsende waren zwei Mütter verantwortlich: Die leibliche und die geistige Mutter. Die leibliche Mutter war körperliche Pflegerin, die geistige Mutter spirituelle Beraterin, Führerin, Schutzgeist und Göttin. Später wurde sie Patin genannt.
Die Wandlung vom Matriarchat zum Patriarchat entwickelte sich langsam aber stetig. Zunächst änderte sich, dass neben der leiblichen und geistigen Mutter auch ein Mann ein Mitspracherecht über ein Kind bekam. Dieser männliche Beschützer war jedoch nicht der Vater sondern der Bruder der Mutter. Auch als der Vater als Familienoberhaupt anerkannt war, hatte der Mutterbruder eine wichtige Stellung in der Familienhierarchie, so zum Beispiel bei den Germanen. Später wurde der Bruder der Mutter der Taufpate eines ihrer Kinder und befestigte dadurch seine Zugehörigkeit.
Bild: Die Großmutter wird in der Eifel auch Jött, Goat oder Gode (Göttin) genannt.
Eine Erinnerung der Tochter-Mutter-Patin-Version ist in Weihestein-Abbildungen von Matronen-Göttinnen eingebettet. Auf einer Bank sitzen in einer Ädikula drei Frauen in langen ubischen Gewändern. Das junge Mädchen in der Mitte wird von den gleichgestaltigen und gleichaltrigen Frauen eingerahmt; ein Steinmonument von Mutter - Tochter - Göttin (Patin). Eine Verbindung zwischen Patin und Göttin wird besonders in der Volkssprache erkennbar. In weiten Teilen Deutschlands wird die Patin mit Jött, Goat, Gote oder Gode bezeichnet. Nach Sprachforschungen kommt dieses Wort aus dem Keltoromanischen und bedeutet Göttin, bzw. Muttergöttin.
Die Benennung von zwei oder drei Schutzpersonen für jedes Kind hat sich in verschiedenen Formen zu allen Zeiten erhalten. In der christlichen Religion wurde die Patenschaft mit dem Taufsakrament gekoppelt. Mit zahlreichen, wechselnden Regulierungen wurde die Patenschaft in das Kirchenrecht aufgenommen.
Im christlichen Glauben obliegt den Paten die religiöse Erziehung des von ihnen aus der Taufe gehobenen Kindes. Bis in jüngster Zeit war es üblich, dem Neugeborenen den Vornamen seiner Gote oder seines Paten zu geben. Doch nicht nur gleiche Namen machten die patenschaftliche, geistige Beziehung nach außen sichtbar; sondern oftmals auch gleiche Eigenschaften oder Lebensausrichtungen. "Et schlääch no senger Jött" oder "Dat Köngk köt op senge Pat", sagt man seit je in der Eifel und hält eine sympathetische Beeinflussung der geistigen Eltern auf die Patenkinder für möglich und bedeutsam. Es kann natürlich nicht von einer Vererbung gesprochen werden, wie es manchmal geschieht.