Meine Matronen
Wo Göttinnen das Land beschützen
In: Katalog zur Ausstellung „meine matronen“ vom 31.07. bis 04.09.2011
von Sophie Lange
Das Bild der Göttinnen
In einer Nische sitzen drei weibliche Personen nebeneinander auf einer Bank. Rechts und links umschließt jeweils eine Säule die Vertiefung, oben bildet ein Giebel den Abschluss. Durch ihre aufrechte Haltung vermitteln die Figuren den Eindruck eines erhabenen Thronens. Die drei scheinen eine Einheit zu sein, manches ist gleich: ihre ubische Festtagstracht, die Früchte auf ihrem Schoss und ihre meditative Ausstrahlung. Doch durch ein Merkmal unterscheiden sich die drei Frauen ganz wesentlich: Die zwei äußeren tragen voluminöse Hauben, wodurch sie als verheiratete Frauen, Matronen, kenntlich gemacht sind. Die mittlere ist noch nicht „unter die Haube gekommen“ und trägt ihr Haar locker. Die Triade kann man als Tochter, Mutter und alte Weise auffassen. Doch bei den beiden äußeren Müttern lässt sich kaum ein Altersunterschied feststellen, sie können also auch die leibliche und geistige Mutter (Patin) darstellen. Die mittlere ist jünger, mädchenhafter, „auch hübscher“ – wie ein Archäologe schrieb, hübscher als die beiden älteren Matronen. Sie scheint die wichtigste Gestalt der Triade zu sein. Im strengen Sinne ist sie aber keine Matrone, also keine Mutter oder Hausherrin. Auf manchem Bildnisstein wirkt das Köpfchen der jungen Göttin sehr abgegriffen, so als ob viele Menschen es angefasst hätten.
Die Früchte auf dem Schoß der Frauengestalten bescheinigen, dass sie Fruchtbarkeitsgöttinnen sind. So kann die Dreiheit im Naturgeschehen symbolisch für das Wachsen, das Reifen und das Vergehen stehen. Ihre Attribute helfen bei der Erklärung ihres Fruchtbarkeitsaspektes: Birnen, Äpfel (Granatäpfel) und Pinien, die manchmal in einem Füllhorn arrangiert sind.
Die Triade scheint von einem eigenartigen Schweigen umfangen. Was wollen uns die Matronen vermitteln? Sprechen sie zu uns von der Allmacht der Mutter Natur, von der Schutzgewalt der Göttinnen über Himmel und Erde, von der Machtfülle der Frauen, von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, von Geburt, Leben und Tod?
Wenn auch in der antiken Literatur nichts über die Matronen zu finden ist, so zeigen die archäologischen Funde, wie intensiv die gallo-römischen Fruchtbarkeitsgöttinnen im Bereiche der „Germania inferior“, dem ehemaligen Eburonen-Ubierland zwischen Jülich, Eifel, Bonn und Köln verehrt wurden. Hier belegen allein 835 Funde den Matronenkult, darunter Fragmente und komplett erhaltene Weihesteine.
Aus den Bildnissen und vor allem aus den Inschriften auf den Matronensteinen erfahren wir, dass diese Ahnfrauen als Göttinnen (deabae) verehrt wurden. Ihre Beinamen bescheinigen, dass sie für ein gewisses Gebiet (Vacallinehae-Nöthen-Pesch, Stamm der Vacalli) zuständig waren. Die Matronen beschützten diesen Stamm, segneten ihr Land, nahmen Mensch und Tier in ihre Obhut. Andere Schutzmatronen waren für eine bestimmte Funktion zuständig, wie etwa die Gabiae, die Gebenden. Die Aufaniae, die vorwiegend in Nettersheim, Bonn und Zülpich auftauchen, können sowohl ihr Schutzgebiet meinen (Fanja = Venn, Moor), aber auch auf ihren göttlichen Status als „die Hohen“ und „die Erhabenen“ aufmerksam machen wollen. Andere Beinamen mögen den prophetischen Charakter der Matronen hervorheben und sie zu Schicksalsfrauen und Seherinnen einordnen, zum Beispiel die Audrinehae (Köln) als die „freundlichen Schicksalsfrauen“. Sicher gehört die Matronendreiheit zu der weit verzweigten antiken Göttinnenfamilie, zu der auch die griechischen Moiren, die römischen Parzen, die germanischen Nornen und die christianisierten drei Bethen zählen.
Der Tempel von Nettersheim
Die Stifter waren in Nettersheim ausschließlich altgediente Legionäre einer nahen Straßenstation, Beneficiarier genannt, die als Einlösung eines Gelübdes den heimischen Göttinnen einen Altarstein setzten. An anderen Stellen bekunden Dorfbewohner ihre Dankbarkeit an die Göttinnen. Deren romanisierten Namen sind sowohl keltischen (Lefa) als auch germanischen (Amma) Ursprungs und weisen auf eine Mischbevölkerung hin, die sich aus römischen Legionären, Germanen und Kelten zusammensetzte.
Die Weihesteine sind mit nur wenigen Ausnahmen in einer kurzen überschaubaren Zeitspanne im Gebiet zwischen Rhein und Eifel von ca. 160 bis 240 n. Chr. aufgestellt worden, wie wir aus der Nennung von Heerführern und Konsuln herauslesen können. Diese Zeitangabe sagt aber nichts über die Ausübung des Kultes aus, der möglicherweise weit in die Vergangenheit zurückführt und offenbar nachhaltig ins Christentum hineinstrahlt.
Seinen Ursprung hat der Matronenkult nach neuen Forschungen auf dem Land gehabt und wurde von dort in städtische Zentren transferiert.
Die Wiederkehr der Matronen
Im Jahr 1891 stieß man in Nettersheim bei Straßenarbeiten „op der Kuhl“ (Steinfelderstraße) auf ein fränkisches Gräberfeld mit zahlreichen Grabbeigaben. Die Gräber waren durch aufrecht gestellte Felssteine eingefasst, denen man zunächst wenig Beachtung schenkte. Die Wandung eines Grabes entpuppte sich als die rechte Hälfte eines Altarsteins. Aus der Inschrift ließ sich zusammensetzen, dass ein Beneficiarier der I. Legion Minerva mit Namen Priscinianus den heimischen heiligen (sanctissimis) Matronen diesen Weihestein im Jahr 237 für sich und die Seinen geweiht hatte. Im Jahre 1895 erwarb das Provinzialmuseum Bonn (späteres Landesmuseum) diesen Inschriftenstein. Viel Interesse fand der Fund nicht und mit „Matronen“ wussten nur wenige Fachleute aus Streufunden an unterschiedlichen Orten (Köln, Bonn, Zülpich, Antweiler) etwas anzufangen. Doch einmal zum Leben erweckt machten die Matronen bald wieder in Nettersheim auf sich aufmerksam.
1909 stießen Bauern auf einer Anhöhe mit dem Flurnamen Görresburg innerhalb einer Anlage auf Steinmaterial mit Schriftzeichen und bildlichen Darstellungen. Wie mögen sie gestaunt haben, als ihnen drei Frauen aus dem Dunkel der Erde freudig oder auch vorwurfsvoll entgegensahen! Zwei der Bauern gerieten in Streit, wem die „Altertümchen“ gehörten und so kam es zu einer handfesten Auseinandersetzung, bei der einiges zerstört wurde. Einer beichtete schließlich den unseligen Streit dem Pfarrer, der sich interessiert anschaute, was da Heidnisches ans Tageslicht gekommen war. Er informierte umgehend das Bonner Museum.
Noch im gleichen Jahr fand in der Zeit von Anfang Juni bis Mitte Juli die erste Ausgrabung statt. Grabungsleiter war der Leiter des Provinzialmuseums Bonn Dr. Hans Lehner, der 1914-1918 auch die Ausgrabung des „Heidentempels Pesch“ leitete und ab 1928 die archäologischen Arbeiten unter dem Bonner Münster ausführte, bei denen exzellente Matronensteine gefunden wurden. Er avancierte zum Matronen-Experten seiner Zeit.
In Nettersheim legte man den Grundriss eines Kultplatzes mit drei Cellae frei. Durch zwei Bausteine sowie Bildnis- und Inschriftensteine sowie zahlreiche Bruchstücke, die man auf 40 Matronensteine hochrechnete, zeigte sich, dass dieser Kultplatz ausschließlich den aufanischen Matronen geweiht war. Bis dato hatte man es für unwahrscheinlich gehalten, dass ein Tempel allein diesen heimischen Fruchtbarkeitsgöttinnen gedient haben könnte.
So sorgte im Jahr 1909 die Entdeckung eines Matronenheiligtums in Fachkreisen für großes Aufsehen. Erstmals wurde jetzt klar, dass der Matronenkult eine viel größere Bedeutung hatte, als man bisher angenommen hatte.
Sorgfältig zeichneten die Archäologen die Grundrisse auf und dokumentierten alle Fundstücke. Danach schüttete man die Grabungsstelle mit Erde zu, denn der Platz sollte wieder der Natur überlassen werden. Eine Bewachsung sei die beste Konservierung, argumentierten die Archäologen. Alle gesicherten Objekte wurden ins Landesmuseum gebracht. In Nettersheim begehrte man auf. Der örtliche Eifelverein beklagte sich bitter, dass die „Nettersheimer Heiligtümer entführt“ worden seien. Doch trotz vieler Bittschreiben blieben alle Funde in Bonn, wo sie auch heute noch in Depots ein Schattendasein fristen. Der Platz wurde sich selbst überlassen und wuchs mit Sträuchern und Gestrüpp zu. Die Matronen gerieten in Vergessenheit.
Erst 1976 erinnerte man sich wieder an das Heiligtum auf dem Görresburg-Hügel. Im Rahmen eines Strukturverbesserungsprogramms wurde der Kultplatz wieder freigelegt und die „wesentlichen Elemente“ rekonstruiert. Die flache Aufmauerung erfolgte entsprechend den Originalbefunden mit Kalkbruchsteinen und Grauwacken, zu dem die aufgefundenen Original-Mauersteine mit verwendet wurden. Von den drei gut erhaltenen Matronensteinen wurden Kopien als Anschauungsmaterial vor der großen Cella aufgestellt. Die Begründung lautete: „Diese können zwar nicht genau den alten Platzierungen entsprechen, tragen jedoch für den Betrachter sicher dazu bei, die Bestimmung des Tempel als heilige Stätte besser zu verstehen.“
Seit 1977 finden immer mehr Menschen den Weg zu dieser „heiligen Stätte“. Angesprochen fühlen sie sich nicht nur von der historischen Aussage eines Göttinnentempels, sondern auch von der landschaftlichen Schönheit, von der vielfältigen Natur, der freien Ausstrahlung des Ortes und letztendlich von der Anziehungskraft der Matronen selbst. Sie finden Ruhe und Entspannung, dort, wo Göttinnen das Land beschützen.