Nachrufe auf Sophie Lange
Nachruf von Ina Braun-Yousefi
Kurz nach den Fastnachtstagen in 2023 ist Sophie Lange aus Nettersheim in der Eifel unerwartet von uns gegangen. Sophie Lange war, über ihre Aktivitäten zu Clara Viebig hinaus, auf vielen Gebieten aktiv und hat ein reiches Lebenswerk hinterlassen.
Nach ihrem Schulabschluss hätte sie gerne ein Studium aufgenommen – vielleicht eines der Geschichte –, doch für sie, Tochter von Landwirten, ist das keine Option. Zunächst absolviert Sophie Lange eine Ausbildung bei einer Bank. Erst in den 1970er Jahren, nachdem sie sich mit der Familie in Nettersheim in der Eifel niedergelassen hat, kann sie ihrer Neigung nachgehen und wird zu einer überaus produktiven Forscherin und Schriftstellerin. Als Forschungsgebiet bietet sich ihre Eifeler Wahlheimat an. Eine Fundgrube ist das Kreisarchiv Euskirchen, in dem Sophie Lange Recherchen über die Situation der Frau in der Eifel im 19. und 20. Jahrhundert betreibt. 1992 legt sie ihre Erkenntnisse in ihrer ersten Monographie ›Kinder, Küche, Kirche‹ vor. Damit ist sie eine Vorreiterin auf dem Gebiet der Frauenforschung in der Region. Als engagierte Heimatforscherin verfasst Sophie Lange unter anderem eine Sammlung von Eifeler Kochrezepten, die sie von 1994 bis 1999 in drei Büchern veröffentlicht.
Insbesondere die Erforschung des Matronenkultes in der Nordeifel ist Sophie Lange ein wichtiges Anliegen. Als spirituell ausgerichtete Frau ist sie fasziniert von dem Matronenheiligtum ›Görresburg‹, nicht weit von ihrem Haus in Nettersheim gelegen, das sie, wie sie einmal sagte, häufig in sternklaren Nächten aufgesucht habe. Als Expertin auf diesem Fachgebiet wird sie vom Rautenstrauch-Joest-Museum für Völkerkunde in Köln und dem Propstei-Museum Zülpich herangezogen und wirkt an deren einschlägigen Ausstellungskatalogen mit. Ihr bekanntestes Werk dürfte folglich das 1994 erstmals, 2021 in vierter überarbeiteter Auflage erschienene Buch ›Wo Göttinnen das Land beschützten: Matronen und ihre Kultplätze zwischen Eifel und Rhein‹ sein.
Sophie Lange ergründet auch die Mythen, Gewohnheiten und Bräuche der Nordeifel und sammelt und kommentiert Texte von vergessenen Schriftstellerinnen der Eifelregion, wie zum Beispiel Nanny Lambrecht oder Tony Eick. Die meisten Publikationen veröffentlicht sie im Aachener Helios-Verlag. Mit einigem Stolz berichtet sie, dass sie in einen Bereich einzubrechen vermag, der seinerzeit eine ›reine Männerdomäne‹ gewesen sei: Sie veröffentlicht kleinere Arbeiten in den Publikationen des Eifelvereins sowie in den Jahrbüchern des Monschauer Landes und des Kreises Euskirchen. Kaum bekannt ist die Tatsache, dass Sophie Lange über Jahre hinweg im Lokalteil der Kölnischen Rundschau fast 5.000 Glossen unter dem Pseudonym ›Rochus‹ veröffentlichte. Hier nimmt sie, bisweilen humorvoll, bisweilen auch mit spitzer Zunge, Alltägliches, Geschichten aus der Region und manchmal auch die Politik aufs Korn. Die ausführliche Webseite von Sophie Lange gibt weiteren Aufschluss über ihre vielfältigen Forschungs- und Interessenbereiche.
Auf Leben und Werk Clara Viebigs wird Sophie Lange 1976 aufmerksam, als sie im Freilichtmuseum Kommern die Aufführung des Theaterstücks ›Barbara Holzer‹ miterlebt. Dieses Erlebnis bezeichnet sie als einen ›magischen Moment‹, der die Initiation für ihre intensive Beschäftigung mit der Schriftstellerin bedeutet, die als die literarische Entdeckerin der Eifel gilt. Sophie Lange liest sich mit großem Interesse durch Viebigs Werk. Besonderes Augenmerk richtet sie auf die Eifelgeschichten, wobei sie sich vor allem über die Charaktere und meisterlichen Landschaftsbeschreibungen in der Erzählung ›Vom Müller Hannes‹ begeistert. Für sie werden Viebigs Werke, über die Quellen des Kreisarchivs hinaus, zu einer Fundgrube für Material bezüglich der Stellung der Frauen in der Zeit um 1900 und für heimatkundliche Themen. Für die ›Tabu-Themen‹ in Viebigs Werk entwickelt Sophie Lange besonderes Interesse. Diese greift sie selbst auf und gestaltet sie weiter. Hier ist insbesondere der Skandalroman ›Das Weiberdorf‹ zu nennen, der für Sophie Lange eine große Inspiration bedeutet. Mit ihrem Roman ›Weiberdorf 2000‹ aus 1998 nimmt sie auf Viebigs ›Weiberdorf‹ offensichtlich Bezug. Wie Sophie Lange im Vorwort schreibt, ist es ihr jedoch wichtig herauszufinden, was sich für die Frau auf dem Lande in den letzten hundert Jahren geändert habe. Eine weitere Leistung von Sophie Lange ist die Übertragung von Viebigs handschriftlichen Filmscript zu ›Der Gast aus der anderen Welt‹ in ein Typoscript und die Aufnahme auf ihrer Webseite. Viebigs Handschrift, die heute nur noch mit Schwierigkeiten zu entziffern ist, wird dadurch allgemein zugänglich gemacht. Außerdem setzt sich Sophie Lange aktiv dafür ein, dass Clara Viebig und ihr Werk nicht in Vergessenheit geraten. Sie verfasst zahlreiche Beiträge zu Viebigs Werken, die sie meist in den Jahrbüchern veröffentlicht. Aber auch das Zeitungsfeuilleton, insbesondere das der Kölnischen Rundschau, weist zahlreiche Artikel anlässlich der Gedenktage Viebigs auf. Der sprechende Titel eines Artikel aus 1992 - ›Herb, sanft, leidenschaftlich wie die Eifel – den ihr gebührenden Ehrenplatz hat Clara Viebig auch zum 40. Todestag noch nicht erhalten‹ - ist ein beredtes Zeugnis für das unermüdliche Plädoyer von Sophie Lange für die von ihr geschätzte Schriftstellerin. Darüber hinaus gibt Sophie Lange zahlreiche Textsammlungen mit Originalauszügen aus Viebigs Werk heraus. Hier ist das Buch über Bauernregeln ›Steht die Sonne auf Stippen‹ 1997 zu nennen, auch die Auslese von Eifeltexten in ›Die Jahreszeiten‹ 1998 oder ›Die Eifel hat ihresgleichen nicht‹ 1999.
Meine Forschungen über Clara Viebig führten mich zu Sophie Lange, an die ich mich, wegen einer Frage zu Viebigs Werk, im Jahr 2017 gewandt hatte. Der anfängliche rein fachliche Austausch wurde persönlicher, später freundschaftlich. Ich besuchte Sophie einige Male in ihrem Haus in Nettersheim. Die Zugstrecke durch die malerische Eifellandschaft und das von Clara Viebig sehr geschätzte Kylltal machte den ansonsten recht beschwerlichen Weg von Trier aus gut überwindbar. Ich erinnere mich an den Abschied meines letzten Besuchs im Sommer 2019: Sophie stand am Fenster ihres Hauses auf der Nettersheimer Höhe und winkte mir leidenschaftlich nach. Ich winkte eifrig zurück, bis wir uns, auf der absteigenden Straße in Richtung Bahnhof aus dem Blickfeld gerieten. Dass dies, aufgrund mehrerer Umstände, unsere letzte Begegnung sein sollte, war mir damals nicht bewusst. Im März 2020 legte Corona manche Dinge lahm und schloss einen Besuch aus, und im Juli 2021 wurde zudem die Eifelstrecke durch Starkregen und Hochwasser demoliert. Sophie war sehr bedrückt über die Zerstörung und das Leid, welches diese Katastrophe über das von ihr geliebte Heimatdorf gebracht hatte. Zudem gestattete ihr gesundheitlicher Zustand nicht mehr, in ihrem Haus in Nettersheim zu leben. Sophie Lange residierte fortan im Pflegeheim Effata in Blankenheim, das sie als ›Rentnerklause‹ bezeichnete und in dem sie sich gut einlebte. Auch dort mischte sie bei der Hauszeitschrift und bei den hauseigenen Feiern kräftig mit, bis sie sich im Februar 2023 von einem unglücklichen Sturz nicht mehr zu erholen vermochte.
Mit Sophie Lange hat die Eifel eine bedeutende Figur verloren, die sich engagiert für die Hebung historischer Schätze in ihrer Heimat eingesetzt hat. Die Clara-Viebig-Forschung muss den Verlust einer Mitstreiterin beklagen, die sich über Jahrzehnte aktiv gegen das Vergessen dieser Schriftstellerin eingesetzt hat. Was aber an Sophie Lange bewundernswert ist, ist das Menschliche: Sie war eine beeindruckende Persönlichkeit, die bis zu ihren letzten Tagen geistig rege gewesen ist und aktiv zur Gestaltung ihres Wirkungskreises beigetragen hat.
Nachruf von Sven Nieder (Eifelbildverlag)
Nachruf von Norbert Crump (Bürgermeister)
Nachruf des Eifelvereins (OG Nettersheim)