Die Eifeler als solche
Eine Satire von Sophie Lange
In: Die Eifel 2/1991
Eine waschechte Eiflerin: Meine Suche nach dem Eifeler als solchem begann ich nach 1960, als ich in die Eifel zog. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Kontakt mit einer waschechten Eiflerin. Es war beim Einkauf im Dorfladen, der damals noch nicht Tante-Emma-Laden hieß, sondern Konsum, obwohl das Konsumieren noch nicht alleiniger Lebenszweck war. In diesem Laden stellte sich ein altes Mütterchen - erst später Seniorin tituliert - vor mich, betrachtete mich von Kopf bis Fuß und stellte die Frage, die ich noch oft in der Eifel zu hören bekommen sollte: „De wemm de senn bes due dann?“ (Frei übersetzt: Wer bist du denn? Zu wem gehörst du?) Ich stotterte etwas von „zugezogen“ und wurde nicht mehr beachtet. Beim Verlassen des Geschäftes plagte das Mütterchen jedoch die Neugier: „Wo wohnen Sie denn?“ Hochdeutsch und Sie! Ich sagte es ihr. Sie zeigte auf meine Haare: „Sind die von Natur aus blond?“ Auf diese offene Frage konnte ich nur mit einer ehrlichen Antwort reagieren: „Da ist etwas nachgeholfen“, gestand ich. „Städterin!“ Zischte das Eifelmütterchen voller Verachtung und die von Tacitus beschriebenen germanischen blauen Augen mit dem trotzigen Blick wollten mich vernichten. Ich wollte erklären, dass auch ich vom Lande stamme und dass auch ich „wemm“ wäre, doch stolzen Hauptes schritt die Eiflerin an mir vorbei, deutlich zeigend, wer sie war: Eine-von-hier-Geborene! Das ist die einzige Eifel-Adel-Aristokratie, die sämtliche Blau-Blut-Blessuren und Raubritter-Randale überdauert hat. Ich war der ersten Eiflerin als solche begegnet. Dieses Erlebnis zeigte mir drastisch, dass dieses listige Bergvolk stets offen und ehrlich sagt, was der kümmerliche Rest der Welt klamm und heimlich denkt. Eine lobenswerte, doch manchmal unbequeme Tugend!
Ein Eifeler Urgestein: Als ich mich etwas von dem ersten Eifel-Schock-Kontakt erholt hatte, machte ich mich auf, um beim Bürgermeister die polizeiliche Anmeldung vorzunehmen. Schon von weitem klang mir lauter Gesang entgegen: „Großer Gott wir loben dich!“ Mein Schritt beflügelte sich. Ein Bürgermeister, der dem großen Gott lautstark ein Loblied sang, würde sich gewiss nicht als kleiner Gott aufführen, wie das auch in der Eifel einige Staatsmänner tun. Das Haus mit dem Schild Bürgermeister gehörte zu einem kleinen bäuerlichen Anwesen. Der Volksvertreter schien sich also ansonsten redlich zu ernähren. Ich ging zur Haustür. Diese stand sperrangelweit offen. Das ist ein alter Eifelbrauch aus der guten alten Zeit, als Diebe nie etwas holten, wo nichts zu holen war. In das „Alles, was dich preisen kann“ rief ich ein zaghaftes „Hallo“. Nichts rührte sich. Beim Lauschen stellte ich indes fest, dass der Gesang nicht aus dem Wohnhaus drang. Ich horchte in Richtung Scheune, Ställe, Misthaufen. Kam das Geschmetter etwa? Tatsächlich! Die hochheilige Festtags-Orgie drang aus einem kleinen Häuschen mit einem noch kleineren Herzchen. „Alles ist dein Eigentum!“ Als es in dem verschwiegenen Örtchen einen Atemzug lang still wurde, wagte ich nochmals ein Hallo. Doch der Sänger von Gottes Gnaden hatte schon zum „Heilig Herr Gott Sabaoth“ angesetzt. So wartete und wartete ich, bis alle Strophen der unendlichen Geschichte zu Ende gesungen waren, dann rief ich mein drittes Hallo. Ein energisches „Wäe es do?“ erklang. In Richtung Herzenhäuschen äußerte ich meinen Wunsch, als Bürger in Ort und Gemeinde aufgenommen zu werden. Nach einem beredten Schweigen trat eine Männergestalt aus dem Heiligtum, zog die Hosenträger hoch, setzte eine amtliche Miene auf, komplimentierte mich in die Amtsstube und erledigte höflich korrekt, bürgermeisterwürdig die dienstliche Angelegenheit. In Hochdeutsch natürlich. Ich war einem weiteren Exemplar der seltenen Pflanze Eifeler als solcher begegnet und hatte erfahren, dass die Eifeler großes Gottvertrauen besitzen und Segen von oben sowohl für ein großes, als auch für ein kleines Geschäft erflehen.