Matronen – Anekdoten aus Nettersheim
von Sophie Lange
Über fast drei Jahrzehnte hindurch habe ich regelmäßig den Matronentempel auf der Görresburg bei Nettersheim besucht, nicht nur, weil ich ganz in der Nähe wohne, nein, der Platz übt als historische Stätte und Kultplatz eine große Anziehungskraft auf mich aus. Bei meinen Besuchen und Exkursionen habe ich manch Amüsantes und viel Merkwürdiges erlebt.
Matronen und die Frauen
Es sind hauptsächlich Frauen, die regelmäßig den Matronentempel bei Nettersheim besuchen. Oft kommen sie von weit her, bringen Opfergaben mit, erfreuen sich an der himmlischen Ruhe (wenn nicht gerade ein Traktor in der Nähe seine Runden dreht), nehmen die Kräfte der Erde auf und genießen das Gefühl der Freiheit und den Blick in die Weite. Obwohl der Platz stark frequentiert wird, kann man hier doch zur Ruhe kommen.
Immer wieder erzählen mir Touristen, dass sie Mühe haben, den Matronenplatz zu finden. Es sind zwar Schilder Römertempel aufgestellt, doch diese werden oftmals durch Vandalismus zerstört. Dann irren die Suchenden hilflos durch das Urfttal. Dabei ist es ganz einfach: Hat man die richtige Richtung eingeschlagen, muss man immer nach oben streben, denn der Göttinnentempel liegt auf einer kleinen Anhöhe. Einige Frauen hatten schließlich das Suchen im Tal aufgegeben und fuhren zurück ins Dorf. Dort fragten sie einige ältere Frauen: „Wo geht’s hier zum Matronentempel?“ Es zeigte sich aber wieder einmal, dass in Nettersheim selbst der Tempel gar nicht so bekannt ist. So bekamen die Fremden im breiten Eifeler Slang die Auskunft: „Hier gibt es keinen Tempel, hier gibt es nur ’ne Kirche.“
Auf der Görresburg kommen immer wieder zufällige Treffen zustande, wenn es denn überhaupt Zufälle gibt. So kam ich einmal mit dem Auto von der „Heide“ runter zur Görresburg. Von unten kam ein Auto mit Trierer Kennzeichen, das dann eine Sekunde früher auf dem dortigen Stellplatz einparkte. Ich musste mir also einen anderen Platz zum Parken suchen und kam etwas später vor den Matronensteinen an. Wie überrascht war ich dann, dass es Bekannte aus Trier waren. Wir hatten uns seit Jahren nicht gesehen und freuten uns sehr über dieses „zufällige“ Wiedersehen. Steuern die Matronen solche Zufälle?
Einmal wanderte ich mit einer Freundin zur Görresburg. Wir gingen immer wieder kleine Umwege, machten hier einen weiten Bogen und dort einen kleinen Schlenker. Als wir dann oben ankamen, traf zur gleichen Minute eine Frauengruppe dort ein – alles liebe Bekannte. Hätten wir dieses Zusammentreffen geplant und immer wieder auf die Uhr geschaut, hätte es sicher nicht so genau geklappt.
Manche Touristen stellen sich die Görresburg ganz anders vor. So kamen Frauen mit Autos angefahren und parkten fast in der Wiese. Aufgetakelt wie Models stelzten sie mit ihren Stöckelschuhen durch die nassfeuchte Wiese, knickten immer wieder um, stießen spitze Schreie aus und sanken mit ihren Pfennigabsätzen tief ins Erdreich ein, dabei ist es doch verboten, nur ein bisschen in den Boden einzudringen, denn der Platz steht unter Bodendenkmalschutz. Ein Kind einer anderen alternativen Gruppe beobachtete den Auftritt und fragte erstaunt: „Was sind das denn für Bergziegen?“
Die „Bergziegen“ aus der Stadt waren schnell wieder weg. Die Stöckelschuhe waren wahrscheinlich hin.
Einmal standen zwei Holländerinnen mit Schutzhelmen vor den Matronensteinen. Die älteren Damen hatten angenommen, die Görresburg sei eine einsturzgefährdete Burg. Vielleicht befürchteten sie aber auch, dass ihnen der Himmel auf den Kopf falle, denn davor hatten schon die Kelten Angst.
Die amerikanische Ökofeministin und Buchautorin Starhawk (u. a. Sachbücher zur Göttinnenreligion) besuchte vor Jahren die Matronentempel in der Eifel. Sie trug eine Jeanshose mit vielen kleinen Taschen. In jedem Täschchen hatte sie ein kleines Fläschchen, manches mit Wasser von verschiedenen Kultplätzen gefüllt. Auch vom Schleifbach am Fuße des Matronentempels Nettersheim füllte sie sich ein Fläschchen mit „heiligem Wasser“. Auf der Görresburg sammelte sie zuerst einmal allen Abfall auf und steckte ihn in eine große Plastiktüte. Erst dann ließ sie sich auf den Platz ein. Das wiederholte sie auch in den Tempeln von Zingsheim und Nöthen/Pesch. Besonders fündig wurde sie an der Kakushöhle. Hier wurde ihre Plastiktasche proppenvoll. Mich hat es damals sehr beeindruckt, dass eine so berühmte Frau aus Kalifornien hier in der Eifel den Touristenmüll entsorgt.
Zwei Frauen wollten auf der Görresburg den Matronen ein Trommelständchen bringen. In der nahen Wiese hatten sich zwei Pärchen zum Sonnenbaden niedergelassen. „Die stören mich“, meinte eine der Trommlerinnen. „Dann vertreiben wir sie eben“, meinte die andere. Die beiden begannen zu trommeln. Einer der Sonneanbeter richtete sich auf, schaute kurz hinüber – und legte sich wieder hin. Doch dann verstärkten die beiden eindringlich ihr Konzert. Nun sprangen die vier wie elektrisiert auf, packten eiligst ihre Sachen zusammen und verließen fluchtartig den Platz. Die Trommlerinnen hatten das Reich für sich. Nett war die Aktion allerdings nicht, denn schließlich ist der Platz für alle da.
Matronen und die Kinder
Bei einer Kindergruppe zeigte sich, dass ein etwa siebenjähriges Mädchen schon einiges über die alten Göttinnen wusste. „Die Matronen bringen den Segen“, sagte sie feierlich. Als ich sie fragte, ob sie denn wisse, was Segen bedeute, gab sie die philosophische Antwort: „Ich weiß es genau, doch ich kann es nicht erklären.“
Manchmal erzähle ich Kindern, dass die Matronen schon manchen Wunsch erfüllt haben. Ein kleiner Junge wollte es aber genauer wissen und überlegte: „Ich wünsche mir schon lange einen Hund. Meine Eltern wollen aber keinen. Wenn ich mir jetzt einen Hund von den Matronen wünsche, wer ist dann stärker: die Matronen oder meine Eltern?“ Da war ich mit meinem Latein am Ende.
Kinder legen oft intuitiv den steinernen Matronen eine kleine Opfergabe in den Schoß: eine Blüte, ein Stein oder eine Süßigkeit. Besonders Gummibärchen sind als Opfergaben bei Kindern beliebt. Man könnte einen bekannten Werbespruch umdichten: H. macht Kinder froh und Matronen ebenso.
Manchmal liegt Geld im Schoß der Göttinnen. Meist sind es nur einzelne Cents, es kommt allerdings auch vor, dass richtig „Kohle“ dort liegt. Als ein Halbwüchsiger sah, dass auf dem Schoß einer Matrone ein 2-Eurostück lag, konnte er der Versuchung nicht widerstehen und steckte das Geld schnell in die Hosentasche. Nachher bekam er aber Gewissensbisse und legte heimlich ein 1-Cent Stück hin. Vielleicht hoffte er, dass die Matronen sich mit der Euro - Währung nicht so genau auskennen.
Sind Kinder mit ihrer Klasse auf Römer - Rallye unterwegs, müssen sie einen Fragebogen ausfüllen. Eine Frage zum Matronentempel lautet: Was tragen die Matronen in ihrem Schoß? Gemeint sind natürlich die steinernen Körbchen und Obstschalen mit Früchten. Einmal beobachtete ich, wie Kinder genau das aufschrieben, was sie real sahen: Gummibärchen, Blumen, Nüsse, Geld…
Ich beobachtete einmal einen etwa neunjährigen Jungen, der wenig Lust zeigte, sich mit dem Fragebogen zu beschäftigen. Er saß sinnend vor den Matronensteinen, betrachtete die Göttinnen und malte mit dem Zeigefinger auf der Erde - Kreise, die sich ineinander verloren. Die gestresste Lehrerin hatte für solche Meditation keinen Nerv und keifte den Kleinen an: „Wenn du nicht sooofort und ganz schnell deinen Fragebogen ausfüllst, bekommst du keine Urkunde.“ Der Junge nahm gehorsam seinen Fragebogen zur Hand. Die Matronen seufzten tief. Ach, was ist das heute für eine hektische Welt!
Matronen und die Erdstrahlen
Rutengänger und Geomanten zieht es natürlich auch zu der archaischen Stätte. An einem frühen Morgen hatte sich Judith aus dem Bergischen Land lange auf der Anlage aufgehalten, ihre Rituale gemacht, gesungen und getanzt. Plötzlich tauchte eine Gruppe von Wünschelrutengängern auf. Judith zog sich zurück. Die Geomanten packten ihre Geräte aus. Bald lag die ganze südliche Umfassungsmauer voll mit hochtechnischem Gerät, aber auch mit metallenen Kleiderbügeln und einfachen Haselruten. Als die Geomanten mit ihrer Arbeit begannen, staunten sie nicht schlecht: Ihre Geräte spielten total verrückt und es war überhaupt kein Ordnungsmuster festzustellen. Judith lächelte nur – nein, es war wohl mehr ein Grinsen.
Ob die Anziehungskraft des Matronenkultplatzes mit den Göttinnen zu tun hat oder mit Erdstrahlen, Wasseradern oder Verwerfungen, mag dahin gestellt sein. Auf jeden Fall passieren dort manchmal seltsame Dinge. Ein Rundfunkreporter wollte mich auf der Anlage interviewen. Zuerst stellte er außerhalb des Bezirks einige Fragen. Es klappte alles bestens. Doch als wir die Schwelle des Tempelbezirks überschritten, versagte das Aufnahmegerät. Batterien wurden ausgewechselt. Doch es tat sich nichts. Erst als wir den Tempelbezirk wieder verließen, funktionierte das Gerät wieder. Zufall!?
Doch einige Wochen später zeigten sich bei einem Fernsehteam ähnliche Probleme. Erdstrahlen? Ein Magnetfeld? Vielleicht sind die Matronen aber auch nur medienscheu.
Vor Jahren wuchsen zwei Holundersträucher an der Umgangsmauer des Tempels in Nettersheim. Man war sich sicher, dass sie eine Wasserader anzeigten. Da der Holunder nicht nur in der Eifel als heiliger Strauch der göttlichen Märchenfrau Frau Holle gilt, zeigten sich Esoteriker über dieses Wachstum begeistert. Eines Tages fielen diese prächtigen Sträucher jedoch einer Mähmaschine zum Opfer und wuchsen auch nicht mehr neu. Doch bereits im nächsten Frühjahr zeigte sich ein winziges Holunderzweiglein genau hinter dem mittleren Matronenstein. Hätte man sich eine Stelle zum Pflanzen ausgesucht, hätte man wohl genau diesen Platz ausgewählt. Inzwischen ist das Pflänzchen schon zu einem Strauch herangewachsen.
Matronen und das Wetter
Wenn die Matronen für die Früchte der Erde zuständig sind, sind sie logischerweise auch für Sonne und Regen verantwortlich. Wenn für das Wachstum Regen notwendig ist, dann regnet es halt. Auf die Wünsche nach schönem sonnigem Wander- oder Touristenwetter gehen die Matronen nicht ein, denn die Schutzmatronen haben zu ihrer Zeit keine sonnenhungrigen Touristen kennen gelernt.
Doch etwa 30 Frauen, die einige „Kulttage“ in der Eifel verbringen wollten, waren sich sicher: „Wenn wir auf Matronenspuren wandern, bescheren uns die Göttinnen auch gutes Wetter.“ Die erste Nacht verbrachten sie in einem großen Zelt in der Nähe der Görresburg. Am nächsten Morgen sollte zur Kakushöhle gewandert werden. Es regnete in Strömen, doch zuversichtlich machte man sich auf den Weg. Unterwegs hörte es nicht eine Sekunde mit dem überreichen Segen von oben auf. Hatten die Frauen – wie es so üblich ist, zunächst tüchtig geschnattert, so wurde es mit zunehmender Nässe immer stiller, bis schließlich niemand mehr etwas sagte. Alle stapften schweigend und resigniert durch den Regen. Klatschnass – das Wasser stand richtig in den Schuhen - kamen wir schließlich an der Kakushöhle an. Nun musste dort in der Nähe das Zelt aufgebaut werden. Alles in den nassen Klamotten. Alle waren sich einig: „Diese Wanderung werden wir nie vergessen“ – und das haben die Frauen auch nicht.
Auch bei einer Wanderung vom Naturzentrum aus zur Görresburg regnete es an einem Stück. Doch als die Frauengruppe klatschnass am Tempel ankam, hörte es ganz plötzlich auf. Eine der Frauen meinte: „Wir mussten wohl zuerst gereinigt werden. Sind wir jetzt würdig, den Tempel zu betreten?
Auch eine Matronenexkursion per Bus wurde von ständigem Regen begleitet. Ich verabschiedete die Teilnehmer mit der Aufforderung: „Vielleicht kommen Sie mal beim Sonneschein – oder beim Mondenschein.“ Letzteres wurde freudig aufgenommen. So kam es zu einer Vollmondwanderung. Von Marmagen aus wanderten wir zur Görresburg. Es regnete zwar nicht, doch vom Mond war auch nichts zu sehen. Als wir vom Schleifbachtal den Hohlweg hochgingen und schließlich auf der Höhe ankamen, trat der Mond in voller Schönheit aus den Wolken hervor und bescherte uns einen traumhaften, mystischen Aufenthalt. Einem der mitgehenden jungen Männer kam das alles unheimlich vor und wurde ganz kleinlaut und war froh, als wir den Rückweg antraten.
Scheint die Sonne zu stark, ist das den Touristen allerdings auch nicht recht. So hatte das Pflegepersonal eines Krankenhauses ihren Betriebsausflug zu den Matronenstätten geplant. Zuerst sollte gewandert werden. Die Krankenschwestern waren sich sicher, dass sie fit für eine weite Wanderung waren, schließlich rannten sie den ganzen Tag bei ihrer Arbeit durch die Krankenhausflure. Doch schon bald zeigte sich, dass es etwas anderes ist, bei Hitze kilometerweit zu wandern, als „Kurzstrecken“ zu überwinden. So machten schon bald einige schlapp. Eine der Krankenschwester stöhnte: „So viel frische Luft bin ich nicht gewohnt, ich glaube, ich bekomme einen Sauerstoffschock!“ Zum Glück hatten wir viele Krankenschwestern dabei, um mit dem „Schock“ fertig zu werden.
Ich erinnere mich auch noch gut daran, als vor Jahren zum ersten Mal bei meinen Exkursionen oben auf der Görresburg ein Handy klingelte. Die Matronen zuckten zusammen. Doch inzwischen haben sie sich daran gewöhnt, dass Menschen ohne diese Plage nicht leben können.
Matronen und die Männer
Einmal traf ich auf dem Matronenplatz einen jungen Mann, der aufgeregt hin und her lief und vor sich hin schimpfte. Als ich ihn schließlich fragte, was denn los sei, wetterte er aufgebracht mit Blick auf die Matronen: „Die sitzen doch zu Gericht! Die wollen uns Männern was. Drei Frauen auf einmal – dann geht’s doch immer über uns Männer her.“ Ich konnte ihn nur mühsam beruhigen. Männerängste!
Steht eine gemischte Männer – Frauengruppe vor den Matronensteinen, kann ich darauf schwören, dass einer der Männer dumme Sprüche zur Fruchtbarkeit von sich gibt. „Vorsicht, Frauen! Das sind Fruchtbarkeitsgöttinnen. Kommt ihnen nicht zu nahe, sonst werdet ihr schwanger.“ So oder so ähnlich lauten die Warnungen. Meist folgt dann ein verlegenes Kichern der Frauen. Dabei haben die Matronen überhaupt nichts mit der Fruchtbarkeit der Menschen zu tun. Trotzdem hält sich das Gerücht, dass die Matronen auch den Wunsch nach Nachwuchs erfüllen können. Besonders eifrig kamen Pärchen zur Görresburg, als diese Botschaft einmal in einer Rundfunkreportage verkündet wurde. Auch fand der Fruchtbarkeitskult von der Görresburg Einlass in ein wissenschaftliches Buch (Rudolf Simek: Religion und Mythologie der Germanen). Dort heißt es: „Nicht umsonst erzählt man sich in der Gegend, dass ihre Anhänger [der Matronen] nicht nur hierher pilgern, um ihre kleinen Gaben mit einem Wunsch niederzulegen, sondern dass auch kinderlose Ehepaare bisweilen den nächtlich-ruhigen Rasen in den Tempelruinen in warmen Nächten zum Beischlaf nutzen, um durch die Anwesenheit der Göttinnen ihrem Kinderwunsch Nachdruck zu verleihen.“
Männerfantasien!
Doch Vorsicht! Bei Nacht und Nebel wird auch in warmen Nächten der nächtlich-ruhige Rasen sehr feucht und kalt. Man könnte sich was erkälten.
Zum Seitenanfang