Der ewige Jäger im Quecken
Von Wilhelm Röhrig, 1955
Im Quecken, dem bewaldeten Bergabhang an der Ostseite von Münstereifel, findet man im Boden die Überreste einer alten Burg. Von dieser Burg weiß die Sage folgendes zu berichten:
Vor langen Zeiten lebte auf der Burg ein Ritter mit seiner Frau und seinem einzigen Sohne. Der Ritter war ein leidenschaftlicher Jäger, der Tag und Nacht dem Wilde nachstellte. Er starb jedoch früh und ließ Frau und Sohn zurück.
Der Sohn aber hatte von seinem Vater die Jagdleidenschaft geerbt. Sie ergriff ihn so sehr, dass er selbst für den sonntäglichen Kirchgang keine Zeit mehr fand. Die Mutter, eine fromme Frau, ermahnte ihn oft, erst der Sonntagspflicht zu genügen, dann bliebe noch genug Zeit fürs Waidwerk. Doch der Sohn hörte nicht auf sie und schlug ihre Ermahnungen in den Wind.
Nun geschah es, dass der Sohn an einem Sonntagmorgen in aller Frühe wieder die Vorbereitungen zur Jagd traf. Laut bellten die angeketteten Hunde im Burghof. Die Mutter, die von ihrem Fenster aus das Treiben gewahrte, rief dem Sohne wieder mahnend zu, doch zuerst zur Kirche zu gehen. Der Tag habe danach noch genug Stunden für die Jagd. Aber der Sohn stellte sich taub. Mit wildem Hallo und lautem Gebell der Meute ging’s zum Burgort hinaus. Die Mutter, von bitterem Schmerz über den Ungehorsam des Sohnes überwältigt, rief ihm zornig nach: „Ich wollte, dass du ewig jagen müsstest!“
Der Tag verging, es wurde Abend und Nacht. Der Sohn kehrte nicht heim. Es vergingen Wochen, Monate und Jahre; der Sohn kam nicht mehr zurück. So war der Ausruf der Mutter in Erfüllung gegangen. Zur Strafe muss der Sohn ruhelos durch die Wälder um Münstereifel streifen.
Lehrer Wilhelm Röhrig: Heimatsagen, Nr. 1, Manuskript von ca. 1944, Archiv J. M. Ohlert
Sophie Lange: Im Dunkel der Nacht, 2001, Seite 70
Ergänzung von J.M. Ohlert:
Ein alter Mann aus Rodert – die Erde deckt ihn schon Jahrzehnte – hat den ewigen Jäger einmal gesehen. Als Kind war er einst mit seinem Vater in einer mondhellen Nacht in den Wald gegangen, um heimlich Holz zu holen. Während der Vater sich mit Axt und Säge zu schaffen machte, stand der Knabe etwas abseits. Aus Angst vor dem Förster klopfte ihm das Herz bis zum Halse.
Da sah er plötzlich eine bleiche Gestalt lautlos an sich vorbei schleichen. Es war der ewige Jäger. Angetan mit einem grünen Wams trug er auf dem Kopfe das Jägerhütlein mit Feder, über dem Rücken die Flinte. Mit tieftraurigen Augen blickte er den Knaben an. Hinter ihm schlichen mit gesenktem Kopf und eingezogenem Schweif die Hunde. Den Jungen packte jähes Entsetzen, und nie mehr ist er nachts mit seinem Vater zum Holzholen in den Wald gegangen.
J. M. Ohlert: Der ewige Jäger. In: Gieskanne 1970