Das Wannenmännchen von Münstereifel

von Pfarrer Krause, 1911


Ist in der Mühle ein neuer Mahlgang aufgeschüttet und das Werk in Gang gesetzt, dann besorgen die Mahlsteine ganz von selbst die Arbeit, und der Müller hat eine geraume Zeit nichts weiter zu tun. Der pflegt dann nicht selten – die Hände in der Tasche und die Pfeife im Munde – sich an die Tür zu stellen und Ausschau zu halten über Land und Leute. So machte es auch einstmals der Mahlhannes, der durch seine Unerschrockenheit die Gespenstermühle im Eschweiler Tal von ihren unliebsamen Gästen, einer ganzen Herde von Hexen, befreit hatte.
Als er so ganz gemütlich, ohne weiter an etwas zu denken, in die Gegend von Iversheim ausschaute, da kam quer durch die Wiesen ein mit altmodischen Kleidern gar seltsam ausstaffierter Wanderer auf die Mühle zugegangen. Über sich hielt er mit beiden Händen eine Fruchtwanne [flacher Korb, in dem durch Rütteln das Getreide gereinigt wird], als ob er sich damit vor dem Regen schützen wollte. Was aber beim Anblicke wundersam und geradezu grauenerregend war: der Mann kam ohne Kopf daher spaziert. So etwas aber konnte nicht mit rechten Dingen hergehen, denn kein Mensch vergisst doch seinen Kopf mitzunehmen, wenn er ausgeht.
Da wäre denn einem anderen vor Schreck und Grausen leichtlich etwas Menschliches passiert oder – wenn es gerade nicht so schlimm gekommen – , so wäre ihm die Pfeife doch vor Schreck sicher aus dem Munde gefallen, alle Haare wären ihm zu Berge gestiegen und falls er vor Furcht nicht ganz erstarrt gewesen, wäre er schleunigst ins Haus gelaufen, hätte die Türe eiligst hinter sich zugeschlagen, dieselbe doppelt und dreifach verriegelt und wäre womöglich vor Angst unter das Bett gekrochen.
So einer aber war unser Mahlhannes nicht. „Aha“, brummte er vor sich hin, „ich will nicht Hannes heißen und mich auf der Stelle lebendig begraben lassen, wenn das nicht das Wannenmännchen von Münstereifel ist, von dem meine Großmutter selig so viel erzählt hat. Da bin ich doch neugierig, was der hier will.“ Ohne weiter etwas zu sagen, ließ er das Gespenst ganz nahe auf sich zukommen. Der ohne Kopf stellte sich nun gerade vor Hannes hin und begann aus tiefster Brust ganz erbärmlich zu seufzen und zu stöhnen, sagte aber dabei kein Wort.
Da merkte denn Hannes, dass der Geist nicht gekommen war, um ihm den Hals umzudrehen, sondern vielmehr, um von ihm erlöst zu werden. „Alle guten Geister loben den Herrn“, fing er also an, wie er es von seiner Großmutter selig gelernt hatte, dass man bei einem Geisterbesuche sprechen müsse. „Wer seid Ihr und was ist Euer Begehr, dass Ihr so ohne Kopf mit der Wanne in den beiden Händen daherlauft?“
Da ließ der Geist noch einen Seufzer fahren, und es war, als ob ihm dabei ein dicker, schwerer Stein vom Herzen fiel. Er sprach: „Lieber Hannes, ich bin das Wannenmännchen von Münstereifel, verwünscht so lange ohne Kopf um die Stadt herumzuwandern, bis einer unaufgefordert mich fragt, wer ich sei und was ich begehre. Wie lange nun wandere ich schon ohne Rast und Ruhe immer ohne Aufhören um die Stadt herum und keiner fragte mich bisher. Einstmals stand dort eine Stadt mit einer gewaltigen Burg auf der Höhe, dann war wieder Wald und Einöde und jetzt ist wieder eine Stadt erstanden, so lange schon musste ich wandern, um für meine Schand- und Freveltaten, die ich im Leben hier begangen, zu büßen.“
Nun legte das Wannenmännchen ein vollständiges Bekenntnis all seiner Sünden und Frevel ab, worüber wir aber den Mantel der christlichen Liebe, da wir ja allzumal Sünder sind, decken wollen. Die Sache würde sich sonst ohnehin zu lange hinziehen. Kurz und gut also.
Das Wannenmännchen war zu seinen Lebzeiten ein arger Kornwolf [jemand, der Korn aufkauft und es zu Wucherpreisen weiterverkauft], Leuteschinder und Wucherer gewesen und musste deshalb so lange für seine Sünden büßen. „Nun aber bin ich erlöst, lieber Hannes, da Ihr den Mut gehabt, mich anzureden“, so schloss das Gespenst sein Bekenntnis, wollte seinen Kopf eben aufsetzen und machte Miene zu verschwinden.
Mit diesem französischen Abschied aber war Hannes durchaus nicht einverstanden. Also schrie er: „Heh! Holla! Hoh! Wertes Wannenmännchen, liebes Gespenst, lieber Geist ohne Kopf, so lasst mir doch wenigstens zum Andenken Eure alte Wanne hier, die Ihr ja nicht mehr zu tragen braucht. Die Welt ist anjetzo so schlecht und so voller Betrug, dass man einem ehrlichen Christenmenschen ohne handgreiflichen Beweis nichts mehr glaubt, selbst mir, dem Hannes nicht. Wenn Ihr mir also keinen Schatz hinterlassen wollt, wie sich das eigentlich für ein rechtschaffenes, erlöstes Gespenst gehört, so erlaubt wenigstens, dass ich Eure Wanne behalte, als ein Zeichen, dass Ihr bei mir gewesen seid.“
Das Wannenmännchen konnte nicht umhin, dem klugen Hannes Recht zu geben und froh darüber, nach so langem Schweigen wieder sprechen zu dürfen, öffnete es den Mund zu folgender Schlussrede: „Die Wanne, lieber Hannes, sollt Ihr haben; wenn Euer Herz aber nach Schätzen verlangt, dann müsst Ihr auf die andere Seite von Eschweiler ins Rhintal gehen, allwo die alte Heidenstadt Mataska versunken liegt, und wo nicht fern an der Römerstraße auf dem Kuttenberge die Kriegskasse des Römerheidenkaisers Julius Cäsar von dem Gespensterreiter auf einem Schimmel bewacht wird. Dort haben die alten Heiden die Leichen ihrer Toten verbrannt und die Überreste in Töpfen in die Erde begraben.“
So sprach das Männchen, verunsichtbarte sich und ließ dem Hannes eine mit Weizen wohlgefüllte Wanne zurück. Den Weizen nun schüttete Hannes, da eben der letzte Mahlgang abgelaufen war, flugs auf; denn der Gespensterweizen sah nicht anders aus wie guter Weizen, den die Bauern auf ihrem Acker ziehen. Damit hatte aber Hannes, ohne es zu wissen, eine große Dummheit begangen, denn seit jener Zeit wurden die Brötchen immer kleiner und kleiner. Während früher ein Mann sich an einem einzigen Brötchen herzhaft satt essen konnte, reichen jetzt viele nicht mehr aus. Das kommt von dem Geistermehle des guten Mahlhannes, das die Bäcker allzu reichlich brauchen. Je mehr Gespenstermehl sie zu dem gewöhnlichen nehmen, umso kleiner und geisterhafter werden die Brötchen.
Die Wanne aber zeigte Hannes mit Stolz seinen Besuchern und sie hörten sich mit Grausen die Geschichte vom Wannenmännchen an, und da war keiner, der bei einem so deutlich sichtbaren Beweise, wie die vom Gespenste zurückgelassene Wanne, an der Wahrheit des Berichtes gezweifelt hätte. Bis auf einen Besucher aus der Reichs- und Hauptstadt Münstereifel. Das war einer von den Aufgeklärten, der jedenfalls wenig oder gar keinen Geist besaß. So begann er in der Mühle, als er die Geschichte hörte, haarklein zu beweisen, dass es keine Geister gäbe und Gespenster erst recht nicht. Ein Wannenmännchen ohne Kopf, wovon doch alle Welt um und in Münstereifel zu erzählen wusste – wenn auch nur die Altvorderen ihn gesehen -, gebe es auch nicht. Er habe keine Furcht auch nicht vor dem Teufel, denn der existiere auch nicht, usw., usw.
Da flog ihm aber, da er mitten im besten Beweisen war, plötzlich die Gespensterwanne – natürlich von unsichtbaren Geisterhänden geworfen – an den Kopf, dass es krachte, und man wusste nicht, ob der hohle Kopf oder die Wanne oder beide zugleich so vernehmlich gekracht hatten. Kurz und gut, der Schwätzer verstummte und später erzählte er im „Wilden Mann“ am Markt in Münstereifel den Wirtshausgästen, dem Hannes glaube er alles, ob es wahr oder gelogen, denn er habe für alles die besten handgreiflichen Beweise.


Pfarrer Krause: Der unerschrockene Mahlhannes und das Wannemännchen ohne Kopf von Münstereifel. In: Eifelvereinsblatt Februar 1911, Seite 33 und 34