Der ewige Jäger


Wer einmal dem ewigen Jäger begegnen möchte, der muss in mondhellen Nächten durch die Eifeler Wälder streifen. Dort kann er ihn treffen.

Zu den beliebsteten Jagdgründen des gespenstischen Weidmanns gehört der geheimnisvolle Weyerer Wald zwischen Keldenich, Urfey und Weyer. An den schroffen Felsen „boven zur Ley“, am Donnermaar, an den steinalten Hügelgräbern, am Weyerer Hermes- und Brehberg, am Dotteler Ravelsberg, am Keldenicher Hagelberg, am VollemerEulenberg, am Lorbacher Lichtertberg, am Kallmuther Pflugberg, im UrfeyerParadies, im KeldenicherKönigsfeldertal, – dort überall hat er sein Jagdrevier. Begleitet von seinem struppigen Hündchen muss er umherirren, immer auf der Pirsch, ruhelos, gejagt, verdammt für alle Ewigkeit.

Kirche von Weyer im Jahre 1936
Kirche von Weyer im Jahre 1936 Kirche von Weyer im Jahre 1936

Wie es dazu kam, erzählt man sich in den Dörfern an der Kakushöhle folgendermaßen: In der Keldenicher Flur gibt es eine Stelle, die heißt auf dem Königsfeld. Vor langer Zeit soll hier eine Burg gestanden haben, vielleicht war es ein Königshof, eine sogenannte Pfalz. Nun lebte einmal auf dieser hehren Feste eine fromme Burgfrau, deren einziger Sohn ihr allerdings in keiner Weise nacheiferte; im Gegenteil, er kümmerte sich weder um Gott noch sein Gebot. Sein Leben und Streben gehörte ausschließlich der Jagd, und sein Herz war erfüllt vom Weidwerk in Gottes freier Natur. Wenn die Mutter wie alle tugendreinen Keldenicher sonntags die heilige Messe besuchte, lachte er nur spöttisch. Besessen von seiner Jagdleidenschaft ging er lieber auf die Jagd als in die Kirche.
Eines Sonntags, als es in Keldenich gerade zum Hochamt läutete, nahm der Nimrod wieder das Gewehr von der Wand und wollte sich aufmachen in den Weyerer Wald. Da wurde seine Mutter sehr traurig und klagte: „Ach, mein Sohn! Sonntag für Sonntag versündigst du dich, da du die heilige Messe versäumst.“ Als der Sohn nur hämisch lachte, wurde sie ärgerlich und rief zornig: „Dann geh doch auf die Jagd, du missratener Nichtsnutz! Ich wünsche, dass du jagen mögest für immer und ewig, bis zum Jüngsten Tage.“

Nun hatten damals Wünsche und Flüche große Macht und trafen meistens zu. Darum musste man sich dreimal überlegen, was man sich wünschte und wen man verfluchte. Und obwohl die Mutter ihre Worte nicht ernst gemeint hatte, ging die Drohung in Erfüllung. Der Sohn kehrte am Abend nicht in die Burg zurück, und auch nicht am nächsten Tag und nicht am übernächsten und niemals mehr.

Die Burg auf dem Königsfeld ist längst untergegangen; keine Menschenseele weiß wann und wodurch. Doch der ewige Jäger geistert noch immer durch das Weyerer Waldgebiet. Viele Leute aus der Umgebung haben die Spukgestalt gesehen und einige sind bei dem Anblick vor Schreck tot umgefallen. In stürmischen, kalten Regennächten, in denen man keinen Hund vor die Tür jagen würde, hört man jammervoll sein Hündchen winseln: „Japp, japp!“

Gottfried Henßen: Sagen, Märchen und Schwänke des Jülicher Landes, Bonn, 1955 Seite 61, Nr. 59

Der ewige Jäger und die Juffer Fey

Eine Verbindung zwischen dem ewigen Jäger und der Juffer Fey (siehe: Das Reich der Juffer Fey) zieht eine Sage von Kallmuth: Auf dem in der Nähe von Kallmuth gelegenen Burghofe lebte vor Zeiten ein Jäger, der selbst an Sonn- und Feiertagen die Jagd auszuüben pflegte. So war er auch einst am hochheiligen Weihnachtsfeste unterwegs. Schon bald erlegte er einen außergewöhnlich großen Hasen. Danach trat das Wild massenhaft auf, aber es neckte ihn nur. So wollte es ihm nicht mehr gelingen, auch nur noch ein einziges Stück zu erschießen. Schließlich setzte er sich erschöpft auf einen Felsblock und legte seine Jagdgeräte zur Seite. Da plötzlich, als es gerade auf dem nahen Kirchturm zu Weyer zur heiligen Wandlung läutete, kam ein winziges Häslein heran gehüpft. Das war aber niemand anders als die Juffer Fey. Sie umkreiste dreimal die Weidtasche und sprach:

Wach auf! Wach auf!
Lieb’ Schwester Marie!
Jetzt gilt’s zu enteilen,
jetzt oder nie!

Und flugs sprang das erlegte Tier quietschlebendig aus der Tasche und eilte in das nahe Buschwerk. Der Jäger griff erzürnt nach seiner Waffe, eilte dem entsprungenen Hasen hinterher und rief drohend: „Ich will dich wieder haben und sollte ich dich jagen bis zum Jüngsten Tage!“ Noch immer hat der Jäger den Hasen nicht erwischt und durchstreift bis heute ruhelos die Wälder. Manch nächtlicher Wanderer hat ihn gesehen.

Der bekehrte Jäger

Mancher „Sonntagsjäger“ wurde jedoch rechtzeitig von seiner Leidenschaft bekehrt. So weiß die Sage von einem Weidmann, der im Holzheimer Wald sein Jagdrevier hatte: Es war an einem Weihnachtstag, und die Dorfbewohner machten sich gerade auf, um dem feierlichen Hochamt in der Kirche beizuwohnen. Nur ein Jägersmann hatte anderes vor: Er ging in den Holzheimer Wald um zu jagen.

Als er so durch den Waldstreifte, entdeckte er plötzlich in der Nähe einen Hasen. Flugs ergriff er seine Büchse. Der Hase blieb still sitzen und blickte dem Weidmann fest in die Augen. Zweimal schoss der Jäger auf ihn, doch es war wie verhext: Er traf ihn nicht. Ärgerlich legte er gerade die Flinte zum dritten Mal an, als er hinter sich eine Stimme hörte, die eindringlich warnte: „Nicht schießen, nicht schießen!“

Verdutzt blickte sich der Jägersmann um, sah aber niemanden. Da wurde ihm gar gruselig zu Mute und die Jagdlust war ihm für diesen Tag vergangen. Eilig kehrte er nach Hause zurück. Als er an der Holzheimer Kirche vorbeikam, erklangen gerade die Altarglöckchen zur Wandlung. Sie trafen ihn mitten ins Herz und offenbarten ihm die Liebe des Allmächtigen. Demütig kniete er nieder und bat Gott um Vergebung seiner Sünden. Da hörte er eine leise Stimme, die ihm zuraunte: „Es war dein Tausendglück, dass du nicht mehr geschossen hast. Denn ansonsten hättest du jagen müssen auf ewig und drei Tage.“

Niemals mehr ist der Jäger sonntags auf die Jagd gegangen.

Henßen, Seite 63, Nr. 63

Der wilde Jäger

Es war an einem Weihnachtsmorgen. Eine feierliche Stille erfüllte das Paradies bei Urfey. Kein Lüftchen regte sich im Wald, kein Laut war zu hören. Die Stille des Tals blieb auch, als die frühen Wanderer ins Königsfeldertal kamen. Nur in den Baumspitzen säuselten die Blätter in einem leichten Wind. Doch dieser Wind verstärkte sich zusehends, bald rauschte es in den Blättern, die Äste tanzten auf und ab, die Zweige bogen sich knarrend, der Wind wurde zum Sturm. Das Tal blieb jedoch vollkommen ruhig und feierlich still.

War es der wilde Jäger, der zwischen den Jahren mit seinem Heer durch die Lüfte braust? Einst regierte er als Donar die Götterwelt, später eroberte er mit zahllosen großen Helden den Himmel. Er erlöste manche verbannte Seele und nahm sie in sein Geisterheer auf. Der ewige Jäger vom Weyerer Wald gehört aber nicht zum Heer der wilden Jagd. Anscheinend ist er zwar in die ewigen Jagdgründe, aber nicht in die himmlischen Jagdgründe eingegangen. So hat der Fluch noch immer seine Wirkung und der Verbannte irrt wie ein gehetztes Wild durch die Nacht.

In den Eifeldörfern erzählt man, dass man sich in der Zeit vom 24. Dezember bis zum 6. Januar ruhig verhalten soll, denn dann ist das wilde Geisterheer unterwegs und will nicht gestört werden. Die Menschen sollen vor allem den Wald meiden.

(siehe: Heimatkunde: Spuk und Aberglauben im Alltag und im Jahreslauf)

Wenn man sich in alten Zeiten in heimeliger Runde Geschichten vom ewigen oder vom wilden Jäger erzählte, sang man anschließend noch einige alte Lieder, wie zum Beispiel folgendes:

Im grünen Wald, dort wo die Drossel singt, Drossel singt,
Wo im Gebüsch das muntre Rehlein springt, Rehlein springt.
|: Wo Tann’ und Fichten steh’n am Waldessaum,
Dort träumt ich meiner Jugend schönsten Traum. :|
Das Rehlein trank aus einem klaren Bach, klaren Bach,
Dieweil der Kuckuck aus dem Walde lacht, Walde lacht.
|: Der Jäger zielt schon hinter einem Baum,
Das war des Rehleins letzter Lebenstraum. :|
Getroffen war’s und sterbend lag es da, lag es da,
Das man vorhin noch munter hüpfen sah, hüpfen sah.
|: Da trat der Jäger aus des Waldessaum
Und sprach: Das Leben ist ja nur ein Traum. :|
Die Jugendjahre sind schon längst entfloh’n, längst entfloh’n,
die er verbracht als junger Waidmannssohn, Waidmannssohn.
|: Wo Has und Rehlein sagen sich gut’ Nacht,
da hat er seine Jugendzeit verbracht. :|
Im grünen Wald, dort, wo die Drossel singt, Drossel singt,
wo im Gebüsch das muntre Rehlein springt, Rehlein springt,
Nahm er die Büchse, schlug sie an den Baum
Und sprach: Das Leben ist ja nur ein Traum. :