Dienstmädchen aus der Eifel in städtischen Haushal
Auszug aus dem Buch "Küche, Kinder, Kirche"
von Sophie Lange
Um 1900 bildeten Dienstmädchen die größte weibliche Beschäftigungsgruppe. Fast ein Drittel aller Frauen, die außerhalb der eigenen Familien arbeiteten, waren in Haushalten des mittleren bis gehobenen Bürgertums beschäftigt. Hatten bis zur Industrialisierung männliche Diener eine dominierende Rolle gespielt, so wurde dieser Arbeitsbereich im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr von Mädchen und Frauen übernommen. 1895 waren 98 Prozent aller Hausangestellten weiblich.
Städtische Bürgerfamilien stellten über Jahrhunderte hindurch nur Dienstboten aus der Stadt ein. Ab dem 19. Jahrhundert wurden jedoch Mädchen, die frisch vom Lande kamen, immer mehr zum Inbegriff für arbeitsames, rechtschaffenes und insbesondere für fügsames Personal. Selbstbewusste Stadtmädchen zeigten kaum noch Ambitionen, sich als Dienende in einem Haushalt unterzuordnen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts strömten alljährlich Massen junger Mädchen aus den Dörfern in die Städte. 1882 stammten drei Viertel aller städtischen Dienstboten aus ärmeren, dienenden Volksklassen ländlicher Gemeinden. 62 Prozent von ihnen waren bäuerlicher Herkunft. 1896 klagte man darüber, dass das "platte Land sich immer mehr entvölkert, so dass das Land Mangel an Arbeitskräften leidet, während sich die Zahl der städtischen Arbeitslosen ständig erhöht." 1 Auch Mädchen aus den Eifelorten, die bis jetzt im bäuerlichen Familienbetrieb gearbeitet oder sich als Mägde verdingt hatten, zog es in städtische Haushalte.
Weibliche Landflucht
Im Interesse der Bauern versuchte man, die weibliche Landflucht zu stoppen. Lehrer, Pfarrer, aber auch Frauenvereine warnten immer wieder vor dem unbesonnenen Zuzug in die Großstadt. Doch der Wunsch, in der Stadt in Stellung zu gehen, ließ sich nicht mehr aufhalten, selbst dann nicht, als die Mädchen die schlechten Arbeitsbedingungen des städtischen Gesindes erkannten. Neben den Nachteilen für die Landwirtschaft sorgte man sich auch um das sittliche Wohl und Wehe der Mädchen. Ein Pfarrer charakterisierte die neue Mobilität kurz als Wandertrieb: "Mehr Putz, mehr Tanz, mehr Geld treibt die jungen Mädchen in die Stadt und meist auch ins Elend". 2 Oder man seufzte, dass eben der Geist der Moderne nun auch in diese Kreise gedrungen sei.
Was zog die weibliche Landjugend nun wirklich in die Städte? Die Beweggründe für das Verlassen der Heimat erweisen sich als mannigfaltig, doch lassen sie sich mit einem Wort zusammenfassen: Hoffnung! Die Mädchen erhofften sich in den Stadthaushalten bessere Arbeitsbedingungen, leichtere Arbeit als in der Landwirtschaft sowie Kennenlernen des feinen Haushaltes. Sie träumten von hohen Löhnen, von guter Kost und Logis und von Loslösung aus der ländlichen Armut. Sie ersehnten soziales Ansehen und die Teilhabe am städtischen Leben. Die meisten dieser Hoffnungen stellten sich jedoch als unerfüllbare Wunschträume heraus.
Der Weg des Dienens außerhalb der Landwirtschaft begann für viele Dorfmädchen zunächst in den benachbarten Kleinstädten. In Haushalten von Gewerbetreibenden, Beamten oder Unternehmern arbeiteten sie meist als Alleinmädchen. Bessere Verkehrsbedingungen durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes begünstigten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine stärkere Mobilität und die Bereitschaft, in entfernter gelegenen Städten Arbeit zu suchen. Um 1900 begannen immer mehr Mädchen aus der Nordeifel ihr Berufsleben in den Städten, zum Beispiel in Aachen, Bonn, Düren und Köln, aber auch in den Metropolen des Ruhrgebietes oder des Niederrheins.
Vermittlung von Dienstboten
Die Vermittlung der städtischen Arbeitsplätze geschah entweder durch persönliche Empfehlungen, durch Inserate in Zeitungen und Zeitschriften, durch Gesindevermittler oder auch auf Gesindemärkten. Die persönliche Vermittlung kam meist durch Verwandte zustande. Sie war noch am ehesten Garant für eine gute Stelle.
Abb. Bevorzugte Charaktereigenschaften bei Dienstmädchen sind in den Annoncen ersichtlich, "Gutmütige Arbeitstiere"
waren gefragt.
Inserate wurden in der Regel von den Arbeitgebern aufgegeben. Aus diesen Annoncen lassen sich die Anforderungen an die jungen Mädchen erkennen. Dabei scheinen die Arbeiten an sich eine untergeordnete Rolle zu spielen, denn sie werden nur kurz angedeutet: waschen, putzen, nähen, kochen; des öfteren wurden auch ganz allgemein alle Hausarbeiten verlangt, denn ein ungelerntes Mädchen für alles sollte alle anfallenden Hausarbeiten ausführen können. Großen Wert legte man auf die Charaktereigenschaften der Dienerinnen. Folgende Tugendvorstellungen sind in den Inseraten zu finden: brav, fromm, sittlich, bescheiden, treu, ehrlich, propper, reinlich, ordentlich, taktvoll, fleißig, gewandt, zuverlässig, tüchtig, stark und kräftig. Kurzum, es wurde ein gutmütiges Arbeitstier gesucht. Von Bedeutung war auch die Konfessionszugehörigkeit. So wurde in Inseraten angegeben, ob man eine katholische oder eine evangelische Stütze bevorzugte. Möglichst aus anständigem Hause wurden Mädchen ab 15 Jahren oder auch Mädchen gesetzten Alters gewünscht.
Vereinzelt übernahmen Privatpersonen, Restaurationsbetriebe oder Geschäftsleute die Vermittlung von Dienstpersonal. Die Eifeldichterin Clara Viebig (1860 - 1952), die sich in ihren Romanen und Novellen wiederholt mit der Dienstmädchenproblematik auseinandergesetzt hat, lässt eine Berliner Privatvermittlerin bei der Anpreisung eines Dienstmädchens sagen: "Stark wie en Ochs und sanft wie en Engel, und arbeitsam". 3
Gesindemärkte
In den Großstädten wurde in großen Vermittlungsagenturen eine direkte Kontaktaufnahme von Dienstherrschaft und Dienstpersonal ermöglicht. Diese unmittelbare Gegenüberstellung schuf man in ländlichen Gegenden auf den ortsüblichen Märkten. Vor dem Ersten Weltkrieg gab es in der Südeifel eine Anzahl von Gesindemärkten, die meist um die Weihnachtszeit stattfanden und auf denen Mägde und Knechte zu Lichtmess, dem allgemeinen Ziehtag, vermittelt wurden. Bekannt waren unter anderem die Gesinde- und Dingmärkte in Adenau, Ahrweiler, Bitburg, Cochem, Mayen, Münstermaifeld, Neuerburg, Prüm, Wittlich und Wetteldorf bei Schönecken. In der Nordeifel und im Gebiet des heutigen Kreises Euskirchen gab es aus nicht ersichtlichen Gründen keine Gesindemärkte.
Auf den Gesindemärkten mussten sich Mädchen und Burschen kritische Musterungen, peinliche Fragen und dreiste körperliche Berührungen gefallen lassen: "Es ging zu wie beim Viehhandel." 4 Festtagstreiben und Marktrummel nahmen indes der öffentlichen Zur-Schau-Stellung die größte Schärfe. Positiv wurde der Menschenmarkt aber nur von den personalsuchenden Herrschaften und Bauern gesehen. Nach dem Ersten Weltkrieg verschwanden die Gesindemärkte, tauchten jedoch um 1930 wieder auf. In einem Bericht heißt es: "Sie sind wieder da, die Eifeler Gesindemärkte, die einst in Verkennung ihrer Herkunft verpönt oder als Sklavenmärkte verschrieen waren ... Nun stehen sie alle, Mädchen und Jungen, Kinder der Eifel, auf dem Jahrmarkt des kleinen, traulichen Städtchens und warten, dass sie jemand dinge." 5 Bis 1954 fanden in Neuerburg an den Montagen nach den Adventssonntagen Gesindemärkte statt. Dann verschwanden sie endgültig.
Gesindebuch
Von Wichtigkeit bei jeder Vermittlung war das Gesindebuch, das 1846 in Preußen die losen Zeugnisse, die fliegenden Atteste, ablöste. Dieser polizeilich ausgestellte Ausweis diente zur Legitimation und zur Auskunft über Leistung und Verhalten. Bei den Dienstboten war dieser Nachweis nicht sonderlich beliebt, und die Drohung der Arbeitgeber mit einer ungünstigen Beurteilung wurde als Disziplinierungsmittel empfunden. Ein schlechtes Zeugnis führte unweigerlich in Not und Elend. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Gesindebücher verloren gingen. Nach einer Statistik wurden in Berlin zwischen 1884 und 1890 jährlich etwa 1.000 Dienstbücher vernichtet. Wenn überhaupt, so sind vorwiegend Gesindebücher mit guten Beurteilungen erhalten. Die Bewertung ist meist kurz und allgemein abgefasst, zum Beispiel: "Sittliche Führung gut. Fleißig unverdrossen bei der Arbeit. Die Leistung ihrem Alter entsprechend wohl befriedigend". 6 Wenn die Mädchen ihre Stellung kündigten, wurde der Grund mit veränderungshalber angegeben, was sowohl Dienststellen- oder Berufswechsel als auch Verheiratung heißen konnte.
Arbeitsalltag
Dorfmädchen mussten von Kind an in den elterlichen landwirtschaftlichen Klein- und Nebenbetrieben mithelfen. Ihre Tätigkeiten erstreckten sich sowohl auf Kinderverwahren und Viehhüten als auch auf Feld-, Stall- und grobe Hausarbeiten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts zeigte die weibliche Landjugend immer weniger Neigung, sich mit landwirtschaftlichen Arbeiten zu beschäftigen. Bauerntöchter waren auch nicht mehr gewillt, nach der Heirat des Bruders eine untergeordnete Position auf dem elterlichen Hof einzunehmen. So schien eine Anstellung als städtische Hausgehilfin für sie wie geschaffen.
Abb. Um 1909 wurden im "Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden" Dienstmädchen für Stadthaushalte gesucht.
Die Arbeit in den mehr oder weniger herrschaftlichen Häusern war aber nicht leicht. Den Anforderungen eines Stadthaushaltes standen die Mädchen völlig unvorbereitet und hilflos gegenüber, und so empfanden sie die ungewohnte Tätigkeit zermürbend und aufreibend. Auch waren weder Arbeitszeit noch Arbeitsumfang gesetzlich geregelt. Die preußische Gesindeordnung von 1844 sagt über die unbedingten Pflichten des Gesindes nur ganz allgemein: "Das Gesinde muss sich allen seiner Leibesbeschaffenheit und seinen Kräften angemessenen hauswirtschaftlichen Verrichtungen nach Anordnung der Herrschaft unterziehen." 7
Ein Arbeitstag eines Mädchen für alles umfasste in der Regel 14 bis 15 Stunden; aber auch 17 bis 19 Arbeitsstunden standen manchmal an. Einen freien Nachmittag gab es jeden zweiten Sonntag; zusätzlich bekamen die Mädchen Freistunden, damit sie den Gottesdienst besuchen konnten. Der Tagesplan wurde jeweils von der Hausfrau schriftlich fixiert. Zu dem Tagespensum kamen noch zusätzliche Aufgaben an den einzelnen Wochentagen. Ein Wochenplan legte fest, wann große oder kleine Wäsche stattfand, die Teppiche geklopft, Silber, Türdrücker, Ofentüren und Fenster geputzt, Waschgeschirre geseift, Lampen gereinigt, Betten geklopft und bezogen und die einzelnen Zimmer gründlich gesäubert wurden. Dazu kamen Einkäufe, Botengänge und Kinderbetreuung. All diese Hausarbeiten erinnern daran, wie umfangreich und mühsam die Haushaltsführung war, ehe die Technisierung in Haus und Küche einzog. So klagten die Dienstmädchen, dass es ihnen kaum möglich wäre, mit allem fertig zu werden.
War in einem großen Haushalt nur ein Alleinmädchen beschäftigt, so musste auch die Hausfrau tüchtig anpacken. Die Frauen aus den gehobenen Schichten überließen indes seit dem 19. Jahrhundert die unstandesgemäße Hausarbeit immer mehr ihrem Personal: Hausmädchen, Küchenhilfe, Köchin, Waschfrau und Kindermädchen. Die Arbeit der Gnädigen bestand meist aus beaufsichtigen, kommandieren, kritisieren und tyrannisieren.
Die feine Küche
Zu den Entscheidungsgründen für eine Stellung im städtischen Haushalt gehörte auch die Hoffnung, dort die feine Küche zu erlernen. So kaschierten die Eltern das frühe In-Stellung-gehen ihrer Töchter gern mit dem Argument, dass die Mädchen in der Stadt eine Ausbildung und Vorbereitung auf das Hausfrauendasein erführen. Befürworter der ländlichen Haushaltungsschulen kritisierten diese Entscheidung der Eltern: "Die aus der Volksschule entlassenen Mädchen werden von den Eltern vielfach sobald als möglich nach den großen Städten in den Dienst gebracht, in dem sie alles andere, nicht nur die Leitung eines bäuerlichen Hauswesens lernen." 8
Den Mädchen für alles wurde in den Städten kaum ein fundiertes Wissen der Hauswirtschaft vermittelt, aber sie lernten doch manches bei ihrer täglichen Arbeit und sahen vieles der Hausfrau oder den anderen Hausangestellten ab. So brachten die Dienstmädchen bei der Rückkehr in die Heimat verfeinerte Haushaltspraktiken, moderne Wohnungseinrichtungen und städtische Manieren in die Eifeldörfer.
Jahreslöhne
Die Mädchen erhofften sich in der Stadt auch eine Loslösung aus der ländlichen Verarmung und höhere Löhne als auf dem Land. Doch diese Hoffnung erfüllte sich längst nicht immer. In der Gesindeverordnung von 1810 heißt es: "Der Lohn, Kostgeld oder die Beköstigung des städtischen und ländlichen Gesindes ohne Ausnahme hängt bloß von freier Übereinkunft bei der Vermietung ab." 9 Auch in der Gesindeordnung von 1844, die 1900 dem Bürgerlichen Gesetzbuch angeglichen wurde, änderte sich nichts an der freien Lohnvereinbarung. So wurde die Bezahlung recht willkürlich gehandhabt. In der Eifel bekamen Mägde in der Landwirtschaft neben freier Kost und Logis im Durchschnitt pro Jahr folgende Löhne ausgezahlt:
- 1850-1860 jährlich 65 Mark
- 1860-1870 jährlich 75 Mark
- 1870-1880 jährlich 65 Mark
- 1880-1890 jährlich 125 Mark
- 1890-1900 jährlich 131 Mark
- 1900-1910 jährlich 155 Mark
- nach 1910 jährlich 210 Mark
Da die Lohnzahlung sich auch nach der wirtschaftlichen Lage der Dienstherren richtete, waren Notjahre der Bauernschaft stets auch schlechte Zeiten für das bäuerliche Gesinde.
Die Löhne in der Stadt waren jedoch auch nicht wesentlich höher als auf dem Land. Um 1900 bekamen die Mädchen für alles einen Durchschnitts - Jahreslohn von 150 bis 200 Mark. Zu diesem Barlohn gab es ebenfalls freie Kost und Logis. Das beim Bauern übliche Paar Schuhe pro Jahr sowie Naturalien fielen in der Stadt weg. Das verdiente Geld musste in den meisten Fällen von den Eifelmädchen nach Haus geschickt werden. Ansonsten entschied bei den sehr jungen Mädchen auch die Dienstherrschaft, wofür ihre Angestellten das Geld ausgaben. Immer wieder wurden sie zum Sparen angehalten.
Obwohl die Dienstmädchen aus der Eifel beliebt und gefragt waren und es nach 1900 stets zu wenig weibliches Hausgesinde gab, schafften die Frauen es nicht, aus dieser Knappheit auf dem Arbeitsmarkt Lohnsteigerungen zu erwirken. Die Löhne blieben niedrig. Gesetzlich krankenversichert waren Dienstmädchen erst ab 1914. Vorher konnten sie lediglich freiwillig in Landeskassen eintreten. Im Krankheitsfall waren die Dienstherrschaften verpflichtet, für die erkrankten Dienstboten zu sorgen. Wurde eine Hausangestellte jedoch ernstlich krank, entledigte man sich der Versorgungspflicht gern mit der fristlosen Kündigung. So war manchmal eine Krankheit der Auslöser für die Rückkehr in das Heimatdorf.
Freie Kost
Die freie Kost zählte ebenfalls zu den Entscheidungsgründern für den Diensteintritt in einen städtischen, mehr oder weniger herrschaftlichen Haushalt. Wirtschaftliche Schwierigkeiten zwangen die Kleinbauern dazu, ihre Töchter manchmal schon mit zwölf Jahren gegen ein Taschengeld und freie Kost in die Stadt in Stellung zu geben, nur damit man zu Hause einen Esser weniger hatte.
Doch die Beköstigung der Dienstboten in der Stadt war mehr als mangelhaft. In einer Dienstordnung, die neben den Arbeitsplänen das Verhalten der Mädchen reglementierte, heißt es: "Mit Speisen niemals verschwenderisch umgehen; alles, was genießbar ist, muss aufgegessen werden." 11 Je herrschaftlicher das Haus, das heißt je größer der Standesunterschied war, desto geringer war der Nährwert der Speisen für das Dienstpersonal. Reste oder minderwertige Nahrungsmittel waren gut genug für die Dienstboten. So gab es zum Beispiel spezielle Dienstbotenbutter und einen Dienstbotenkaffee; die Herrschaft dagegen bekam gute Butter und guten Kaffee.
Die schlechte Kost wurde besonders schmerzlich und erniedrigend vom Küchenpersonal empfunden, da es für die Herrschaften die besten Mahlzeiten zubereiten musste. Strenge Kontrollen verhinderten, dass Mädchen heimlich Nahrungsmittel für sich abzweigten. Wurden sie beim Naschen erwischt, so wurde ihnen das als Diebstahl angekreidet. Die Folge der Unterernährung war eine häufige Bleichsucht der dienenden Mädchen. Diese Berufskrankheit wurde von der Herrschaft jedoch ignoriert oder als Folge von Klatschsucht angesehen.
Unterbringung
Die Mädchen aus der Eifel stellten in bezug auf ihre Unterbringung nur geringe Ansprüche. Von Haus aus waren sie gewohnt, zu mehreren Geschwistern im gleichen Raum und auch in einem Bett zu schlafen. Hatten sie vorher in der Landwirtschaft gedient, so kannten sie von dort primitivste Unterkünfte. Die Schlafgelegenheiten in der Stadt waren jedoch noch schlechter als die bescheidenen Wohnverhältnisse im dörflichen Milieu. In den großen Mietshäusern waren die Dienstboten zunächst außerhalb der Etagenwohnungen in unbeheizte Mansardenzimmer ausquartiert. Da man jedoch eine moralische Gefährdung und einen Überfluss an Intimität unterm Dach befürchtete, holte man nach 1900 die Mädchen in die Etagenwohnungen, die jedoch in keiner Weise für Personal eingerichtet waren. So mussten die Mädchen vorliebnehmen mit kleinsten Abstellkammern oder Hängeböden, die weder den hygienischen noch den gesundheitlichen Anforderungen genügten.
Wie Hängeböden aussahen sagt folgende Beschreibung: "Die Hängeböden sind in der Küche, mitunter dicht am Herd. Und nun steigt man auf eine Leiter, und wenn man müde ist, kann man auch runterfallen. Aber meistens geht es. Und man macht die Tür auf und schiebt sich in das Loch hinein, ganz so wie in einen Backofen. Das ist, was sie ’ne Schlafgelegenheit nennen. Und ich kann Ihnen nur sagen: auf einem Heuboden ist es besser, auch wenn Mäuse da sind." 12 Das Schlafen in diesen stickig-feuchten Verschlägen verursachte viele Krankheiten wie zum Beispiel Rheuma und ständige Erschöpfungszustände. 1897 wurden Hängeböden, die nicht belüftet werden konnten, als Schlafstätten verboten. Die Wohnsituation besserte sich jedoch erst, als die Nachfrage nach Dienstpersonal erheblich größer war als das Angebot. Mädchen schauten sich vor der Einstellung ihre Schlafkammer an. Wurde jedoch vom Dorf aus ein Arbeitsverhältnis geschlossen, so war eine vorherige Prüfung der Wohnverhältnisse kaum möglich. Die böse Überraschung kam dann am ersten Arbeitstag.
Enttäuschte Hoffnungen
Ihre Jungmädchenträume, in der Stadt mit leichter Arbeit in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen, hatten Eifelmädchen schnell ausgeträumt Doch auch die realisierbar scheinenden Hoffnungen mussten sie begraben. Mehr als die harten Arbeitsbedingungen, die schlechte Kost und die menschenunwürdigen Unterkünfte zermürbten fehlende Anerkennung, ständige Bevormundung und das Herrschaftsgebaren der Arbeitgeber. Besonders in einem Haushalt, in dem die Mädchen in allen Lebensbereichen einer umfassenden Abhängigkeit, Verfügungsgewalt und Kontrolle unterlagen, fühlten sie sich geknechtet und entwürdigt. Da die Arbeitgeber erwarteten, dass das Hauspersonal alles Denken auf ihre Herrschaften ausrichtete, mussten die Mädchen weitgehend ihre Identität und ihr Privatleben aufgeben. Selbst ihre Freistunden unterlagen der Autorität der Gnädigen; ohne Erlaubnis durften viele Dienstmädchen auch in ihrer Freizeit nicht ausgehen. Kontakte nach draußen wurden stellenweise rigoros verboten. Eifelmädchen, die in einem großen Familienverband und in einer intakten Dorfgemeinschaft aufgewachsen waren, gerieten so in Isolation und Vereinsamung und litten unter schwersten Depressionen.
Bei ihrem Antritt der Haushaltsstelle in der Stadt hatten die Mädchen sich soziales Ansehen erhofft. Ein Mädchen, das in der Stadt in Stellung war, galt zwar etwas im heimatlichen Dorf, doch in der Stadt erfuhr es soziale Ächtung. "Wir wurden wie Menschen zweiter Klasse behandelt", sagen ehemalige Dienstmädchen von ihren Dienstjahren vor dem Zweiten Weltkrieg. So hatten die Mädchen oft schon nach kurzer Zeit den Wunsch: "Nicht mehr dienen! Sich einmal nicht mehr schinden, sich nicht hin- und herjagen lassen, sich nicht mehr ducken, um das bisschen täglich Brot." 13 Und doch trieb die Hoffnung sie weiter. In einer anderen Stellung erhofften sie bessere Bedingungen anzutreffen. Manchmal erfüllten sich diese Wünsche, meistens brachte eine neue Arbeitsstelle jedoch auch keine Verbesserung, oftmals sogar eine Verschlechterung. Ein ständiges Kündigen und Sich-Verändern war die Folge der enttäuschten Hoffnungen. Die meisten Dienstmädchen hielten es nicht lange aus in der Stadt. Schon bald waren sie wieder im heimatlichen Dorf. Nur die wenigsten blieben als Perlen der Eifel in Stellung und wurden wegen ihrer langjährigen Dienste wohlwollend geehrt.
Den Eifelmädchen machte auch das Heimweh schwer zu schaffen. Von W. Brand aus Harperscheid 14 wurde diese Sehnsucht 1912 in Verse gefasst:
Eifelmädchen in der Fremde
Ach, wie fühl ich mich verlassen,
in der Stadt, die fremd und kalt,
sehn’ mich im Gewühl der Gassen
doppelt schmerzlich nach dem Wald.
Hier rennt alles ohne Pause,
niemand spricht mich freundlich an,
während sich bei uns zu Hause
herzlich grüßet jedermann.
Mein Geschick hat mich getrieben
aus dem stillen Eifelland,
wo die Hütten meiner Lieben
und einst meine Wiege stand.
Froh durchstrich ich Täler, Hügel
meiner heimatlichen Flur,
und ich darf auf Sehnsuchtsflügeln
hier die Heimat schauen nur.
Kerker sind mir die Paläste,
wo ich diene reichen Herrn,
schöner als die schönsten Feste
dünken mir Sonn’, Mond und Stern,
lieber ist mir meine Hütte,
denn ich fand darin mein Glück,
täglich heißer wird die Bitte:
Lasst zur Eifel mich zurück.
Quellenangaben
1 Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden und Umgegend, 18.1.18962 Walser, Karin: Dienstmädchen, Frauenarbeit und Weiblichkeitsbilder um 1900, Frankfurt 1986, Seite 19
3 Viebig, Clara. Das tägliche Brot, Berlin 1900, Seite 44
4 Weiß, Pejo: Sklavenmarkt und verschenkte Kinder. In: Eifeljahrbuch 1976, Seite 23
5 Ruland Heinrich: Gesindemärkte in der Eifel. In: Eifelkalender 1934, Seite 104
6 Müller, Heidi: Dienstbare Geister, Berlin 1985, Seite 86
7 Hagekötter, F. H.: Herrschaft und Gesinde, Bonn 1896, Seite 10
8 Unterhaltungsblatt und Anzeiger für den Kreis Schleiden und Umgegend, 28.3.1896
9 Gerhard, Ute: Verhältnisse und Verhinderungen, Frauenarbeit, Familie und Rechte der Frauen im 19. Jahrhundert, Frankfurt 1987, Seite 264
10 vgl. Brinkmann, Theodor: Aus dem Wirtschaftsleben der Eifelbauern. In: Eifelfestschrift zur 25-jährigen Jubelfeier des Eifelvereins, 1888-1913, Bonn 1913, Seite 352
11 Walser, Karin, a. a. O., Seite 45
12 Fontane, Theodor: Der Stechlin, München 1948, Seite 152
13 Viebig, Clara, a. a. O., Seite 367
14 Eifelvereinsblatt Juni 1912, Seite 131