Eschweiler Tal: Der Unerschrockene von der Möschem
von Pfarrer Krause, 1910
Am Ausgange des orchideenberühmten Eschweiler Tales, dort, wo dieses Tal in das Erfttal übergeht und wo jetzt eine Holzwollfabrik mit modernem Betriebe durch das Schnarren der Kreissägen und dem Geräusch der übrigen Maschinen das idyllische Rauschen des Eschweiler Baches unterbricht, lag in früheren Zeiten eine kleine, dem Stifte zu Münstereifel gehörige Mahlmühle, die Möschemer Mühle. Schon um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war sie längst in Trümmer zerfallen, so berichtet uns Katzfey in seiner Geschichte von Münstereifel. Dies aber braucht uns weiter nicht wunderzunehmen, denn warum hätte man etwas zur Erhaltung einer Mühle tun sollen, in der niemand wohnen und in der niemand mahlen wollte? Die Möschemer Mühle war nämlich eine Gespenstermühle, und es ist nicht jedermanns Sache, sich mit Gespenstern und derlei Gelichter herumzuschlagen.
Anders war es freilich zu Lebzeiten des unerschrockenen Mahlhannes, denn das war einer, der mit allen Schlichen und Pfiffen von Hexen und Gespenstern nach der Überlieferung des Volkes bekannt war und mit ihnen fertig zu werden wusste.
Mutterseelenallein hauste er auf der Möschemer Mühle fernab von menschlichen Behausungen und besorgte schlecht und recht die wenigen Aufträge zum Mahlen, die ihm meist von Eschweiler zuteil wurden. Freilich, die braven Eschweiler liebten es, beim Mahlhannes auf ihrem Weg von Eschweiler nach Münstereifel einzukehren und vorzusprechen, denn sie hörten gern die grausigen Geschichten, die der unerschrockene Mahlhannes zu erzählen wusste und die er zum Teil selbst erlebt hatte, denn er vergaß nie seinen horchenden Gästen auch handgreifliche Beweise seiner erlebten Abenteuer vorzuweisen. Da mussten die doch wahr sein und so wurden sie auch in der guten alten Zeit geglaubt und von Mund zu Mund weitererzählt, bis auf eine Zeit, die von solchen Geschichten und Sagen, in denen nicht selten ein tiefer Sinn versteckt ruht, nichts mehr wissen wollte.
So ist es gekommen, dass leider nur sehr wenige dieser alten Sagen und Märchen, an denen das Volk sich jahrhundertelang ergötzte, bis auf unsere kritische Zeit sich erhalten haben. Eine Welt voll von Poesie und Zauber geht damit oder ist schon zugrunde gegangen, um nie wieder aufzustehen. Der gütige Leser verzeihe diese Abschweifung. Hören wir, was der Volksmund von unserem Mahlhannes noch zu erzählen weiß.
Der Unerschrockene und die Hexen
Einstmals in einer wilden stürmischen Nacht, als Hannes den letzten Mahlgang überwachte und sich eben aufs Ohr zur wohlverdienten Ruhe legen wollte, erhielt die Mühle einen seltsamen Besuch und seltsame Gäste. Durch die verschlossenen Türen und Fenster, ja selbst durch die Wände spazierten eine Unzahl kohlschwarzer Katzen herein; sie sahen den Hannes mit glühenden Augen an, sprangen überall umher und schrieen und lärmten und gebärdeten sich, als ob sie allein und Herr im Hause wären. Es waren aber selbstverständlich keine natürlichen Katzen, sondern Gespensterkatzen, verkappte Hexen, die hier in der einsamen Möschemer Mühle ihr Quartier aufgeschlagen hatten.
Schon viele Müller waren von diesen Hexen, die sich als die Eigentümer der Gespenstermühle betrachteten, durch allerlei Streiche vertrieben worden, aber mit dem neuen Müller, dem Hannes, konnten sie nicht fertig werden. Er störte sich einfach nicht an ihren Schabernack und war meist in der Gespensterstunde von 12 bis 2 Uhr nicht wach zu bekommen, denn er schlief wie ein Bock und schnarchte dazu, als ob es gelte, bis zum Morgen einige Klafter Holz zu sägen. Rumorten die Gespenster also, so rumorte unser Hannes sogar schlafend noch mehr, das klang, als ob die Mahlmühle in eine Sägemühle verwandelt worden wäre.
Aber in einer so großen Zahl waren die Gespensterkatzen oder vielmehr Hexen noch nicht gekommen; sie wollten einen letzten Ansturm machen, um ihre Mühle wieder zu erobern. Da wäre ein anderer spornstreichs davon gerannt, hätte die Mühle Mühle sein lassen, und da hätte mahlen können wer wollte in der Gespenstermühle; aber kein ehrlicher Christenmensch mehr hätte sich hineingewagt, und das eben wäre den Hexen recht gewesen, die die Mühle als ihren Tummelplatz ansahen, und der Olligsmüller oben im Tale und der Iversheimer Müller im Erfttale hätten sich ins Fäustchen gelacht, wenn in der Möschemer Mühle keiner mehr mahlen wollte.
So einer war unser Hannes nicht, sonst hätte ihn das Volk nicht den „Unerschrockenen“ nennen dürfen. Er brummte nur über die zahlreichen ungebetenen Gäste und schrie: „Nur fein manierlich, sonst geht es an die Luft, und hier wohne ich jetzt, der Hannes.“ „Und Platz da, das ist meine Mühle“, als eine es sich auf seinem Schemel gemütlich machen wollte.
Der Mahlhannes verließ seinen Posten nicht, mochten sie ihn auch noch so sehr mit ihren glühenden Augen anglotzen, und an ihr jämmerliches Geschrei störte er sich erst gar nicht. Als aber die größte und frechste der Gespensterkatzen - jedenfalls die Oberhexe – ihm oben auf den Zerg [Mahltrichter] sprang und das schwarze Ungestüm ihn von da recht schrecklich anglotzte und wild anfauchte, da wurde ihm die Sache doch zu bunt. Er nahm seinen geweihten Rosenkranz aus der Tasche, den ihn die guten Patres in Münstereifel recht kräftig – wie er es bestellte – gesegnet hatten und schlug damit der auf dem Zerge rechts und links, was gibst du, was hast du, um die Ohren.
„So muss man euch kommen, ihr Gesindel! Und gute Nacht bis auf Wiedersehn!“ schrie Hannes der schwarzen Gesellschaft nach, als sie plötzlich unter jämmerlichem Wehegeheul verschwand. Der Hannes war ihnen als guter und frommer Christ mit einem gesegneten Rosenkranz eben über.
Hoffentlich nimmt keine fromme Seele Anstoß an dem seltsamen Gebrauche, den der Mahlhannes vom Rosenkranze machte, der nur zum Beten bestimmt ist. Aber die Geschichte wird so erzählt, und Hannes war jedenfalls einer, der mit der Faust besser auszukommen meinte als mit dem Munde allein. Dann legte sich Hannes aufs Ohr und schlief den Schlaf des Gerechten bis am hellen Morgen.
Den guten Eschweilern aber, die ihn tagsüber aufsuchten, erzählte er das Abenteuer der Nacht, und da war keiner, der die Geschichte bezweifelt hätte. Denn zum Beweise zeigte er ihnen den Rosenkranz, mit dem er die schwarzen Untiere vertrieben hatte. Der Ruhm des unerschrockenen Mahlhannes aber verbreitete sich in der ganzen Gegend. Die Mühle war von da an vor nächtlichem Gespensterbesuche sicher.
Aber wenn auch, wie Mahlhannes versicherte, es in der Mühle seither nicht mehr spukte, so hätte sich bei Nacht doch keiner, selbst nicht einmal einer der tapferen Bürger der Reichsstadt Münstereifel – von den Bauern der Umgegend ganz zu schweigen – in der Nähe der Mühle gewagt. Denn nicht weit davon, dort, wo die badelustige Jugend des Gymnasiums von Münstereifel sich in Ermangelung einer andern Badegelegenheit auf eigene Faust im Eschweilerbach eine Badeanstalt eingerichtet hat, lag in der guten alten Zeit der Hexentanzplatz und gar nicht weit davon auf dem Berge, wo die Flur heute „am alten Gericht“ heißt, war die Richtstätte mit Rad und Galgen und den hingerichteten Verbrechern.
Also immerhin eine unheimliche Gegend; aber was kümmerte der unerschrockene Mahlhannes sich um Hexentanzplatz und Richtstätte, deshalb ging er keinen Fuß breit von seinem Wege ab.
Als er einst spät in der Nacht von der Kirmes in seine einsame Behausung heimkehrte, war gerade auf dem Hexentanzplatz große Hexenversammlung. Von weitem sah Hannes schon die Lichter leuchten und hörte den Spektakel des Hexensabbats, der durch die Stille der Nacht ihm entgegenschallte. Da wäre denn ein anderer in weitem Bogen – um einer Begegnung mit dem Hexen zu entgehen – und dem Tanzplatz herumgegangen oder hätte sogar sofort Kehrt gemacht und Reißaus genommen und keine zehn Pferde hätten ihn zum Hexentanzplatz bringen können.
So einer war der Mahlhannes nicht, er stracks auf die Feuer und den Lärm zu. Und die Hexen begrüßten ihn recht freundlich, denn auch Hexen wissen die Mannestugend der Unerschrockenheit wohl zu schätzen. Da hieß es: „Nun, Gevatter, wo kommt ihr her?“ und sie luden ihn ein, bei ihnen zu verweilen und lustig zu sein. Nicht genug konnte Hannes sich über die Hexenmusik und die seltsame Versammlung wundern, denn da waren Hexen aus der ganzen Umgegend, junge und alte, hässliche und schöne, von denen er viele kannte. Das war ein toller Jubel und ein Tanzen und Springen und wo getanzt wird, da wird auch tapfer getrunken. So braucht es uns also nicht wunderzunehmen, dass die Oberhexe ihm einen guten Trunk anbot. Das ließ sich unser Mahlhannes wohl gefallen.
Aber als die Oberhexe ihm zutrank und ihm den Becher reichte, da konnte Hannes als ein guter Christ es nicht unterlassen, ein frommes Trinksprüchelchen auszusprechen, denn so ganz traute er der Sache doch nicht. Kaum aber hatte er sein „Gesegnet’s euch Gott“ ausgesprochen, also den heiligen Namen Gott genannt, da war mit einem Male der ganze Spuk verschwunden und er vernahm aus der Luft das Wehegeheul der auf den Besen abreitenden Hexen. Statt des Bechers mit einem guten Trunke aber hatte Hannes einen alten Pferdeknochen in der Hand. Die Lichter und Feuer waren erloschen, und nur mit Mühe fand er in der stockfinsteren Nacht, obgleich die Mühle nicht fern vom Hexentanzplatz lag, seinen Weg nach Hause.
Den alten Pferdeknochen aber nahm Hannes als ein wichtiges Beweisstück mit, und jedem, der sich sein nächtliches Abenteuer erzählen ließ, wurde der Pferdeknochen als handgreiflicher Beweis vorgewiesen. Wer hätte aber da noch an der Wahrheit seines Erlebnisses zweifeln können?
Der Unerschrockene und der wilde Jäger
Selbstverständlich ist der unerschrockene Mahlhannes auch mit dem wilden Jäger zusammengetroffen.
Mit dem wilden Jäger aber hat es der Sage nach noch folgende Bewandtnis. Er kommt mit seinem gespenstigen Jagdgefolge vom Quecken, einem Berge bei Münstereifel herunter, aus der Gegend, welche „die alte Burg“ genannt wird. Zu seinen Lebzeiten soll er der Jagdleidenschaft so sehr gefrönt haben, dass er sogar an Sonntagen mit der Hundemeute ausritt und den lieben langen Tag mit seinen wilden Genossen auf der Jagd verbrachte, und also oft genug durch den Lärm zum Entsetzen aller frommen Christen die geheiligte Ruhe des Sonntags störte. Oftmals wurde er von seiner frommen Mutter ermahnt, von seinem wilden Treiben abzulassen, aber er hörte nicht darauf und verlachte sie sogar. Da verfluchte sie ihn in ihrem Zorn, dass er nimmer von der Jagd zurückkehren möge und dass er jagen möge bis zum jüngsten Tage. Von dem Fluche der Mutter getroffen, so erzählt die Sage, kehrte er nicht mehr lebendig in seine Burg zurück; er blieb verschollen und seine Burg wurde zerstört.
Aber seine arme Seele hat keine Ruhe; der wilde Jäger muss immerfort in den stürmischen Nächten der Tag- und Nachtgleiche jagen. Wenn er über die Höhen in sein eigentliches Jagdrevier bis zum Teufelsloch reitet – einer Höhle im Hirnberge, wo auch der glühende Mann umgeht – und dem Dorf Eschweiler gegenüber, wo die Treibjagd beginnt, seine Jagdmeute benutzt, das heißt zum Jagen und Suchen des Wildes antreibt, dann haben ihn die guten Eschweiler gehört und vor Angst oft genug die Bettdecke über den Kopf gezogen. Aber den wilden Jäger gesehen zu haben, konnte sich keiner rühmen; denn in der guten alten Zeit hielt man es mit dem Spruche, die Nacht ist keines Menschen Freund, und benutze die Nacht zum Schlafen und mache nicht, wie in unserer Zeit es geschieht, die Nacht zum Tage. Des Abends ging keiner mehr aus, sondern jeder blieb hübsch zu Hause, da begegnete man auch keinem umgehenden Gespenste oder Geiste oder gar dem wilden Jäger.
Daran aber störte Mahlhannes sich nicht; er ging aus, wann es ihm gefiel, ob es Tag oder Nacht war. So ging er auch einmal spät in der Nacht aus, um in der Schleifmühle, die von Münstereifel an der Brücke, welche zum Kirchhof führt, gelegen war, seine Bille [Schleifgerät] zu schleifen. Diese Schleifmühle, in der die Handwerker und Müller der Umgegend ihre Werkzeuge zu schleifen pflegten, ist längst vom Erdboden verschwunden, heute steht an ihrer Stelle ein Kreuz mit der Jahreszahl 1770 und ein alter Eibenbaum. Hier aber ist der Weg, auf dem der wilde Jäger vom Quecken hinüber in sein Jagdrevier reitet, und Mahlhannes sah mit leibhaftigen Augen, wie er mit seinem Jagdgefolge vorüberbrauste.
Da wäre denn ein anderer vor Angst in das nahe gelegene Städtchen Münstereifel gelaufen, vor Schreck über das unerhörte Abenteuer hätte er jedenfalls die Sprache verloren, und erst mehrere Stephinsky Bittere hätten ihn wieder zu Besinnung und Sprache bringen können – wenn dieser Schnaps schon damals erfunden gewesen wäre.
So einer war aber Mahlhannes nicht, er rannte keineswegs davon und vergaß auch nicht, seine Bille zu schleifen. Den braven Besuchern von Eschweiler aber erzählte er sein nächtliches Erlebnis, so dass ihnen darob die Haare zu Berge standen. Zum Beweis aber zeigte er ihnen die frisch geschliffene Bille. Wer hätte da noch zweifeln können, zumal – o Wunder – keine lange Zeit verging, da hatte ganz Eschweiler in der betreffenden Nacht wie noch nie zuvor das Toben und Schreien des wilden Jägers und den Lärm der Jagd gehört. Vorab natürlich die alten Jungfrauen, die ja immer mehr als andere Sterbliche sehen und hören, dann die Frauen und Kinder, und die Frauen überzeugten ihre Männer, so dass sie es eingestanden, die wilde Jagd in der fürchterlichen Nacht auch gehört zu haben.
Der Ruhm des Mahlhannes verbreitete sich in der ganzen Gegend. So war es in der guten alten Zeit, die aber eigentlich nie gewesen ist.
Pfarrer Krause (1874-1966) in Eschweiler bei Münstereifel: Sagenhaftes aus der Chronik von Eschweiler, dem Munde des Volkes nacherzählt.
Der unerschrockene Mahlhannes von der Möschemer Mühle im Eschweiler Tale. In: Eifelvereinsblatt, September 1910, Seite 231 und 232
Pfarrer Krause war von 1908 bis 1917 Pfarrer in Eschweiler