Familiendrama in der Burg
Von Richard Borde
Einst hatte ein Ritter der Burg zwei Söhne Seine Frau war aus Kummer über das stolze, wilde und ungezügelte Wesen ihres Gatten schon lange gestorben. Der älteste Sohn glich mehr seiner Mutter, sein Wesen war mild, und er war ehrlich und ehrenhaft. Der Vater hätte ihn lieber nach sich geartet gesehen, da er einst das Erbe antreten sollte. Und so blickte er mit Stolz auf seinen zweiten Sohn, der von ihm die wilde und ungezügelte Art geerbt hatte.
Als der älteste Sohn die Tochter eines armen Bauern zur Frau nahm, hielt der Vater dies für eine Schande, die das ganze Geschlecht entehre. Mit einem Fluch verjagte er den Sohn. Der zweite Sohn ward nun der erbe der Burg, doch er liebte Trinkgelade und war ein arger Raufbold. Ein benachbartes Ritterfräulein wurde seine Gemahlin. Als diese bad – von ihrem Gatten zu Tode gequält – elendig starb, überfielen ihre Verwandten die Burg, um den Tod zu rächen. Der junge Ritter fiel im Kampf und der Vater geriet in harte Bedrängnis. Da eilten plötzlich zwei unbekannte Ritter zur Hilfe. Der Feind geriet in Verwirrung und wandte sich zur Flucht. Im Getümmel aber empfing einer der beiden unbekannten Ritter einen Streich und sank tot zu Boden. Der andere vertrieb die Feinde vollends.
Als der Burgherr das Visier seines toten Retters hochhob, erkannte er in ihm seinen ältesten Sohn. Der andere Ritter gab sich als Sohn des toten Ritters zu erkennen. Erschüttert sprach der alte Ritter: „So also ist mein unheilvoller Fluch in Erfüllung gegangen. Aber du bist mein Enkel; komm übernimm das Erbe der Burg und führe ihre Geschichte weiter. Aus der Hütte kommt edles Blut und Tapferkeit.“
Richard Borde: Burgsage, Manuskript von 1952/53.
Archiv: J. M. Ohlert, Bad Münstereifel