Urreligionen und die Große Göttin

Madonna, Kirche Weyer, Foto: Heinrich Klein
Madonna, Kirche Weyer, Foto: Heinrich Klein

Seit Urtagen ist Religion die geistige Lebensform der Menschheit. Schon in Urzeiten waren nomadisierende Jägerinnen und Sammlerinnen sich sicher, dass neben der sichtbaren eine unsichtbare Welt existiere, deren übernatürliche Wesen das Leben auf der Erde schaffen, beschützen, aber auch bedrohen und vernichten konnten. Damit diese allmächtigen Kreaturen den Menschen gut gesonnen waren und blieben, mussten die Menschen ihnen mit Anrufungen, Gebeten, Opfern und Feiern huldigen.
Urreligionen waren stets Naturreligionen. Der Kreislauf von Werden, Wachsen und Vergehen sowie der Rhythmus der Jahreszeiten bestimmten das praktische und geistige Leben. Die Menschen beobachteten den Lauf der Sonne, den Stand des Mondes und der Gestirne, erkannten Gesetzmäßigkeiten und feierten in Ritualen die Allmacht des Kosmos an bestimmten Sonnentagen und in markanten Mondnächten. Sie zeigten große Ehrfurcht vor den göttlichen Geheimnissen und vor den Urgewalten der Natur.
Da religiöse Vorstellungen sich oftmals unabhängig voneinander über weite Gebiete ausbreiteten, spielten beispielsweise pfeilerartige Steine - Menhire genannt -, in weiten Gebieten Europas als Kultobjekte, Sichtzeichen und Kalendersteine eine bedeutende Rolle. Der Brauch drang von Westen auch in das linksrheinische Gebiet und so standen vorwiegend auf Anhöhen auch hier Menhire.
Aus unterschiedlichen Zeiten und von verschiedenen Orten der Erde gibt es Hinweise auf eine Große Göttin. Da die religiösen Ansichten stets Gesellschaftsformen widerspiegeln – wie im Himmel so auf Erden, wie auf Erden so im Himmel -, können aus Hinweisen auf eine „Große Göttin“ Rückschlüsse auf die Stellung der Frau gezogen werden. Jede Frau war Abbild der Urgöttin und damit machtvoll und verehrungswürdig.
Unsere Ahninnen „besaßen“ nicht die Macht, sondern verkörperten diese als Zeugnis ihrer schöpferischen Frauenkraft und ihrer weiblichen Würde. Diese Lebensenergie wurde ihnen zuteil durch die Große Göttin, die Allmutter der kosmischen Kräfte. Von den tiefsten Regionen der Unterwelt bis in die obersten Sphären des Sternenhimmels reichte ihre göttliche Macht. Sie spendete nicht nur das Leben, sondern beschützte es auch. Außerdem begleitete sie die Toten in den Schoß der Mutter Erde, um sie eines Tages wiederzugebären. Sie schaltete und waltete über Leben, Tod und Wiedergeburt.
In früher Vorzeit gebar die Große Mutter alles Leben parthenogenetisch. Die Frauen waren überzeugt, dass sie wie ihre Große Göttin Leben aus eigener Kraft schaffen konnten und sahen lange Zeit hindurch keinen Zusammenhang zwischen Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft. Einen Vater gab es quasi nicht, so dass Frauen allein verantwortlich waren für ihre Kinder. Die Söhne wurden schon in frühen Kinderjahren in den getrennten Lebensbereich der Männer überführt, wo sie die Jagd und das Kriegshandwerk erlernten. Die Mädchen wuchsen bei den Frauen auf, suchten Heilkräuter im unwegsamen Gelände, übten das Heilwesen aus, hüteten das Feuer und bereiteten die Speisen. Aber auch Kampf und Jagd waren ihnen nicht fremd. Jedes Mädchen wuchs im Schutz einer leiblichen und einer geistigen Mutter auf. Die leibliche Mutter sorgte für das körperliche Wohl, während die geistige Mutter spirituelle Beraterin, Führerin, Schutzgeist, Gode war. Das Wort „Gode“ bedeutet nichts anderes als Göttin. In den Eifeldörfern ist „Gode“ oder „Jött“ für die Patin noch allgemein üblich.
Als die Menschen den Anteil der Männer bei der Zeugung eines Menschenkindes erkannten und anerkannten, wurde das Matriarchat immer mehr geschwächt, bis es schließlich von einer patriarchalen Gesellschaftsform – langsam aber kontinuierlich – vereinnahmt wurde. Die kosmische Göttin, die nun neben vielen Göttinnen und Göttern bestand, verkörperte weiterhin das Weibliche als die Quelle des Lebens, sowohl in der Natur als im Menschenleben und hier nicht nur in der körperlichen Fortpflanzung, sondern auch in spiritueller Form. Als Mutter Natur und Mutter Erde offenbarte sich die kosmische Göttin in der Natur selbst, so zum Beispiel in Quellen und Bächen, in Höhlen und Steinen, auf Bergen und Hügeln. Vor allem manifestierte sie sich in Bäumen.
Vor ca. 8.000 Jahren hatten Frauen mit Erfolg die Kultivierung von Getreide und Heilpflanzen durchgeführt und dadurch ein Sesshaftwerden ermöglicht. Sicherlich waren die Frauen maßgebend daran beteiligt, die ersten Plätze für Siedlungen und für heilige Stätten auszusuchen. Um das tägliche Leben an ein und demselben Platz bewältigen zu können, mussten sie genauestens die Naturgesetze erkennen und verstehen.
Es war für sie selbstverständlich, dass sie die Natur nicht nur beobachteten, sondern auch achteten und liebten, war diese doch ihre Lebensspenderin, ihre Mutter und Göttin. Neben der Großen Mutter und anderen bedeutenden Gottheiten wurden einheimische Göttinnen und Götter verehrt, die für ein bestimmtes Landschaftsgebiet zuständig waren, die jeweiligen Siedlungen unter ihren besonderen Schutz nahmen und Mensch und Tier, Feld und Flur, Haus und Hof segneten. Zu diesen lokalen Genien gehören die Matronen.